Oleksandr Sintschenko kann sich kaum noch beruhigen. «Ich zittere innerlich», sagte der ukrainische Nationalspieler der BBC.
Die Aufgewühltheit des 25-Jährigen resultiert in diesen Tagen einmal nicht aus erschütternden Berichten aus seiner unter dem russischen Angriffskrieg leidenden Heimat. Im Gegenteil. Sintschenko will sich mit der Ukraine für die Fußball-WM in Katar qualifizieren und seinen Landsleuten «vielleicht für ein paar Sekunden ein Lächeln» schenken.
Am Mittwoch (20.45 Uhr/DAZN) tritt die Ukraine im Hampden Park zu Glasgow gegen Schottland an. Gewinnen Sintschenko und Co. ihr erstes Pflichtspiel seit dem Kriegsausbruch Ende Februar, spielen sie am Sonntag in Wales um das letzte europäische WM-Ticket. «Dieses Spiel ist eines der wichtigsten in meinem Leben. Die Jungs sehen bereit aus und es ist überhaupt nicht nötig, über Motivation zu reden», sagte Sintschenko. Bei der WM würde sein Team auf England, Iran und die USA treffen.
Training in Slowenien
Noch sind dies ferne Träume. Und selbst wenn die ukrainischen Spieler maximal motiviert sind und sicherlich von allen neutralen Fans der Welt unterstützt werden, so wird sich Schottland nicht einfach seinem Schicksal fügen. Zudem lief die Vorbereitung der Mannschaft passend zur Situation nicht normal. Seit einigen Tagen trainiert das Team auf Einladung von UEFA-Präsident Aleksander Ceferin zwar in Slowenien, doch die Konzentration auf Fußball fällt vielen aufgrund des Schicksals ihrer Familien schwer. Hinzu kommt, dass einige Profis seit mehreren Monaten kein Spiel mehr bestritten haben. «Aber in diesem Fall gibt es keine Ausreden», betonte Sintschenko.
Der Profi von Manchester City weiß, wie man sich als Volksheld seiner Heimat fühlt. Im vergangenen Sommer führte der Blondschopf den Außenseiter mit einem Tor und einer Vorlage ins EM-Viertelfinale. Nicht mal ein Jahr später wirken die Bilder von damals wie aus einer anderen Zeit. «Als der Krieg begann, war es schwer, sich auf Fußball zu konzentrieren», sagte Sintschenko. All seine Gedanken seien bei den Ukrainern gewesen. Ähnlich erging es seinem für West Ham spielenden Nationalmannschaftskollegen Andrij Jarmolenko (32): «Es ist so schwer, im Moment an Fußball zu denken. Die russische Armee tötet täglich Menschen in der Ukraine.»
Zeichen an Putin
Das Spiel in Schottland und der mögliche Höhepunkt in Wales soll sicherlich auch ein Zeichen an den russischen Präsidenten Wladimir Putin sein. «Die Ukraine lebt noch immer. Die Ukraine wird bis zum Ende kämpfen. Das ist unsere Mentalität. Wir geben niemals auf», betonte Sintschenko. Worte, die auch von seinem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hätten stammen können.
Im Hampden Park wird die große Unterstützung auf den Rängen vermutlich fehlen. Ukrainische Männer dürfen ihre Heimat aufgrund des Krieges nicht verlassen, man hofft auf in Großbritannien lebende Exil-Ukrainer. Die Trikots, die die Mannschaft jüngst beim Benefizspiel in Mönchengladbach trug, sind in den WM-Playoffs aufgrund der politischen Botschaft verboten. Somit werden Sintschenko und seine Teamkollegen in den Trikots der vergangenen EM spielen. Ein kleines Stück der friedlichen und freudvollen Vergangenheit.