Bei einem Cappuccino im noblen U21-Teamhotel am Schwarzen Meer musste Rudi Völler die nächsten Tiefschläge für den deutschen Fußball erklären. Den großen Frust nach der EM-Enttäuschung der U21 ließ sich der DFB-Sportdirektor äußerlich nicht anmerken.
Mit Blick auf die sich häufenden Rückschläge und die große Tristesse ein Jahr vor der Heim-EM sprach der 63-Jährige aber vom «Spiegelbild zur A-Nationalmannschaft» und musste zugeben: «Die Ergebnisse sprechen jetzt nicht unbedingt für uns.»
Nach den drei sieglosen und ernüchternden A-Länderspielen unter Bundestrainer Hansi Flick steht im Sommer 2023 auch die lange Zeit so erfolgreiche U21 vor einem Debakel. Nach dem 1:2 gegen Tschechien und dem 1:1 in langer Überzahl gegen Israel droht der Auswahl von Trainer Antonio Di Salvo bei der EM das erste Vorrunden-Aus seit zehn Jahren.
Völler stellt sich vor Flick und Di Salvo
Und auch das Frauen-Nationalteam spielte zuletzt nicht groß auf und erzeugt einen Monat vor WM-Beginn noch keine Aufbruchsstimmung. «Die nackten Zahlen sind, wie sie sind. Da kann man schwer was dagegen argumentieren», gab auch Völler zu, der sich aber nochmals klar vor Flick und Di Salvo stellte. Bundestrainer Flick traut er weiter den Neustart nach der Sommerpause zu, Di Salvos Vertrag wurde kurz vor der EM bis 2025 verlängert.
So richtig Vorfreude kommt mit Blick auf die Heim-EM in Deutschland in knapp einem Jahr noch nicht auf. Dennoch bemüht sich Völler, Optimismus zu versprühen. «Das heißt nicht, dass wir jetzt kampflos aufgeben – ob hier oder mit der A-Nationalmannschaft», sagte er. «Die Zeit der Experimente ist vorbei, jetzt geht es ins EM-Jahr rein.» Der Sportdirektor betonte, dass die Spieler «immer noch gut genug» seien, um ein erfolgreiches Turnier zu spielen. Von Resignation ist er weit entfernt: «Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben.» Dass er selbst noch einmal als Teamchef fungieren werde, schloss er aus.
Dass es nach der tiefen Krise der A-Nationalmannschaft mit zuletzt drei vermurksten Turnieren nun auch im Nachwuchs hapert, hält Völler aber nicht für einen Zufall. «Ich will nicht sagen, dass es fehlende Qualität ist, aber es ist ein Manko», sagte er. «Es ist eine Mentalitätsfrage, und das müssen wir wieder hinbekommen.» Hier seien nun alle im deutschen Fußball gefordert: Vereine, Verbände, DFL und DFB.
Olympia-Aus droht
Den bitteren zweiten EM-Auftritt der U21 verfolgte Völler im 2020 eröffneten Stadion im georgischen Batumi von der Tribüne aus. Dem Titelverteidiger droht nun nicht nur der Vorrunden-K.o., sondern auch das Verpassen der Olympischen Spiele 2024. Di Salvo wirkte nach dem nächsten EM-Tiefschlag ratlos. «Da verzweifelt man auch als Trainer», gab er mit Blick auf die defensiven Fehler und die mangelhafte Chancenverwertung seiner Elf zu.
Die Chance der U21 auf das Viertelfinale ist einen Monat nach dem EM-Titel der U17 nur noch minimal. Am Mittwoch im Gruppenfinale braucht Deutschland einen Sieg gegen die bislang starken Engländer (18.00 Uhr MESZ/Sat.1) und muss zudem auf einen Erfolg Israels gegen Tschechien hoffen. Dieser darf aber nicht zu hoch ausfallen, damit Deutschland im Vergleich mit Israel weiter das bessere Torverhältnis hat. «Ich glaube dran, weil im Fußball immer alles möglich ist», sagte Di Salvo.
Der 44-Jährige war mit großen Erwartungen in sein erstes Turnier als Chefcoach gestartet. Völler nahm ihn trotz der bislang so enttäuschenden EM in Schutz: «Wir haben den Vertrag verlängert, weil er ein sehr guter Trainer ist. Das wird ihn nicht umwerfen, das passiert.»
Hohe Erwartungen enttäuscht
Nach der Erfolgs-Ära unter Stefan Kuntz mit drei Final-Teilnahmen und zwei Titeln, die Di Salvo als Co-Trainer mitgestaltet hatte, waren auch die Hoffnungen vor dem Turnier in Georgien und Rumänien groß gewesen. Di Salvo nannte die Olympia-Quali als Mindestziel, Youssoufa Moukoko gab selbstbewusst den erneuten Titel als Anspruch aus. Doch in Georgien lief vieles gegen die deutsche U21: Sportlich, aber auch abseits des Platzes.
Wie schon das peinliche Vorrunden-Aus der Nationalmannschaft bei der WM in Katar von der politisch aufgeladenen Debatte um die One-Love-Kapitänsbinde begleitet wurde, hatte auch die U21 bei dieser EM mit Themen abseits des Platzes zu kämpfen. Nach dem 1:1 gegen Israel machte Moukoko rassistische Beleidigungen gegen sich im Netz öffentlich.
Die Aufarbeitung beschäftigte den DFB im ohnehin engen Turnier-Kalender vor dem zweiten Spiel über mehrere Stunden. Völler lobte explizit den Umgang damit. «Die Verantwortlichen hier haben das wunderbar aufgearbeitet und toll darauf reagiert», sagte er. Mit Blick auf die Heim-EM und mögliche weitere politische Debatten sagte er: «Dass so etwas nicht mehr passiert, kann ich leider nicht versprechen.»