Der erfolgreiche Geschäftsmann Martin Kind hätte auf diesen Spitzenplatz liebend gern verzichtet. Sein Club Hannover 96 führte in der vergangenen Saison nämlich die Strafentabelle der 2. Bundesliga an.
Zu insgesamt über 630.000 Euro hatte das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes den Club wegen des Fehlverhaltens der Fans verurteilt – immerhin rund dreieinhalb Prozent des Profi-Etats.
Die Niedersachsen sind kein Einzelfall. Über acht Millionen Euro mussten die Clubs in der vergangenen Jahr an Strafen zahlen. Rekord. Und eine neue verzichtbare Bestmarke ist wohl schon in Sicht, erst Mitte Dezember wurde dem 1. FC Köln ein Strafantrag über fast 600.000 Euro zugestellt. Die Rheinländer akzeptierten nicht, der Ausgang ist offen.
«Der DFB, der die Strafen ausspricht, sollte zur Kenntnis nehmen, dass diese in den vergangenen Jahren nichts bewirkt haben. Ich sehe keinen Sinn in den Strafen», sagte der 79 Jahre alte Kind der Deutschen Presse-Agentur. Eintracht Frankfurts Vorstand Philipp Reschke mahnte bereits in der vergangenen Saison: «Das sind Dimensionen, die wir schleunigst zurückdrehen müssen.» Sein Club musste rund 860 000 Euro berappen, lag damit als einziger vor Hannover.
Fans fackeln, DFB zählt
Kind schlägt vor, dass der DFB und die DFL ein Konzept für alle Proficlubs erarbeiten, über das die Gesellschafterversammlung der 36 Bundesligavereine entscheiden soll. «Wichtig: Alle Bundesligaclubs sollten nach diesem Konzept arbeiten. Alle Optionen sind zu diskutieren, zum Beispiel auch personalisierte Sitz- statt Stehplätze», sagte der Unternehmer. In Hannover arbeiten sie bereits an verbesserten Einlasskontrollen.
Bisher sind die Rollen klar verteilt. Die Clubs sind dafür zuständig, dass in ihren Stadien alles pyrofrei bleibt. Der DFB wertet bei Vergehen Videoaufnahmen aus und bestraft. Im Strafzumessungsleitfaden der Rechts- und Verfahrensordnung ist aufgelistet, was wie teuer ist – je nach Liga. So kostet eine Pyrofackel einen Bundesligisten 1000 Euro, ein Drittligist muss 350 Euro zahlen. Ein abgeschossener Gegenstand kostet bereits 3000 Euro in der Bundesliga. Einsatz von Laserpointern, Banner mit ungewünschten Botschaften (Preis nach Größe), Eindringen auf das Spielfeld, Spielunterbrechungen – nahezu jeder Vorfall ist dort zu finden.
Das Geld können die Clubs zum Teil für eigene präventive Maßnahmen einsetzen. Zudem können die Strafen auf die Verursacher umgelegt werden, wenn diese identifiziert werden können. Die stattliche Summe, die auf dem Konto des DFB landet, leitet der Verband an seine Stiftungen weiter.
Jena schuf Präzedenzfall
Köln hat angekündigt, gegen die Höhe des Strafantrags vorzugehen. In dem weiterhin laufenden Verfahren ist mit einem Urteil frühestens im Januar zu rechnen. Geschäftsführer Christian Keller hatte Verbandsstrafen als «fernab der Realität der deutschen Fußball- und Fankultur» bezeichnet und der Club warf dem DFB vor, die «Vorkommnisse unreflektiert unter teilweiser Anwendung eines standardisierten Strafzumessungsleitfadens zu bewerten», was er für falsch halte. Der DFB verweist darauf, dass der Leitfaden einst auf Wunsch der Vereine erarbeitet wurde, damit Strafen möglichst vergleichbar und transparent seien.
Der Viertligist Carl Zeiss Jena hatte 2018 gar kein Verständnis dafür, dass die Clubs für das Fehlverhalten der Fans zur Rechenschaft gezogen wurden und ging bis nach Karlsruhe. Dort sagte das Bundesverfassungsgericht 2023 allerdings, dass man sich nicht mit einer Klage gegen Kollektivstrafen beschäftigen werde. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof die Klage der Thüringer abgewiesen. Begründung: Die Sanktionen seien keine Strafen, sondern präventive Abgaben.
Feuerwerk im Stadion kein Tabu
Rein rechtlich ist der DFB also auf der sicheren Seite. Doch es muss sich etwas ändern. Denn seit der Corona-Pandemie haben sich die Strafen vervielfacht. In der Saison 2018/19 waren es noch rund 3,3 Millionen Euro. In der vergangenen Saison waren es in der Bundesliga rund vier Millionen Euro, 3,1 Millionen im Unterhaus und etwa eine Million in der 3. Liga. «Das Verhältnis ist in Schieflage geraten», sagte der Frankfurter Reschke. Einen «pyrotechnischen Paradigmenwechsel» habe es seit Corona gegeben, Feuerwerk im eigenen Stadion ist kein Tabu mehr.
Eine Lösung? Nicht in Sicht. Kind, ein Gegner der Pyrotechnik, zeigt sich sogar offen für das kontrollierte Abbrennen. Momentan sieht er darin jedoch keinen Konsens mit den Fans. «Den Befürwortern in den Kurven scheint es gerade Spaß zu machen, weil es nicht legal ist», sagte Kind. Nach der unrühmlichen vergangenen Saison kündigte der Club erst einmal an, die Verbandsstrafen in die Preisgestaltung der Eintrittskarten einfließen zu lassen.