Präsident Dirk Zingler stolzierte grinsend durch die Katakomben des Leipziger Stadions, Nico Gießelmann machte sich einen Spaß aus der Meisterrechnung. Und Trainer Urs Fischer gab der wundersamen Reise des 1. FC Union Berlin eine Überschrift.
«Der Wahnsinn geht weiter», befand der Schweizer nach dem 2:1 im Duell der Bayern-Jäger bei RB Leipzig. Ernsthafter Verfolger von Spitzenreiter München ist von diesen beiden nun nur noch Union und nach der geknackten Marke von 40 Punkten stehen die Köpenicker vor einem wahrhaftigen Dilemma: Sie brauchen ein neues Saisonziel.
Verteidiger Gießelmann tastete sich langsam an eine Formulierung heran. «Wir wollen uns weiter oben festbeißen, haben schon einen guten Abstand», sagte der 31-Jährige. Und nicht ganz ernst gemeint, baute er im Rausch des Erfolgs gleich ein Szenario, wie das mit der Meisterschaft klappen könnte: «Wir haben einen brutalen Lauf. Wenn wir jetzt alles gewinnen, dann werden wir deutscher Meister.» Realistisch, betonte Gießelmann, sei das eher nicht. Dennoch: Zum Tabellenführer fehlt nach wie vor lediglich ein Punkt. «Das ist für die Bundesliga ja wunderbar, dass es wirklich ein bisschen spannender geworden ist», sagte der neue DFB-Sportdirektor Rudi Völler.
Forsberg mit komischem Gefühl
Zudem muss nach diesem Sieg in Leipzig die Frage erlaubt sein, wer Union eigentlich noch stoppen soll. Die Berliner gerieten durch ein Tor von Benjamin Henrichs in Rückstand, waren keinen Deut besser als der Pokalsieger. Und doch versetzte die Mannschaft durch Tore von Janik Haberer und Robin Knoche den Gästeblock derartig in Ekstase, dass man dort fast eine Stunde nach dem Abpfiff nicht aufhören wollte zu singen. «Ich habe ein komisches Gefühl. Ich weiß nicht, irgendwas hat heute nicht gestimmt», sagte Leipzigs Spielmacher Emil Forsberg.
Die ratlosen Leipziger dürften sich nun eine Woche lang den Kopf darüber zerbrechen, warum ein Club wie Union nun erster Bayern-Jäger ist und nicht man selbst. Auf eine andere Weise ratlos ist man da in Berlin. «Wir haben nun den 20. Spieltag und 42 Punkte. Das ist ein Stück weit surreal. Wir wissen auch nicht immer, warum wir diese Spiele ziehen», sagte Rani Khedira. Der 29-Jährige wurde einst in Leipzig aussortiert und zählt bei Union zu den Eckpfeilern des Erfolgs.
Sechs Spiele hat Union in diesem Jahr absolviert, sechsmal ging man als Sieger vom Platz. Dabei muss man dringend anmerken, dass die Berliner in vier dieser Spiele zurücklagen. «Ich würde das mittlerweile als Qualität bezeichnen, dass wir jederzeit ein Spiel wie heute drehen können», sagte Knoche, der per verwandeltem Handelfmeter für den Sieg gesorgt hatte. Es war in der Bundesliga übrigens der fünfte nacheinander gegen Leipzig. Gegen keinen anderen Club hat RB so eine verheerende Bilanz. Und so merkte deren Trainer Marco Rose nach zuvor ungeschlagenen 18 Spielen süffisant an: «Jetzt haben wir eine neue Serie, über die wir reden können.»
Neues Saisonziel gesucht
Redebedarf wird bei Union unter der Woche ebenfalls herrschen. Trainer Fischer versprach, dass er sich mit seiner Mannschaft zusammensetzen wird, um ein neues Saisonziel zu definieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es die Meisterschale sein wird, geht allerdings gegen null. «Wir genießen einfach den Moment, die Erfolgswelle, auf der wir reiten. Dann schauen wir am Ende, was rumkommt», sagte Knoche. Und Fischer zählte auf, wo man bereits meisterhaft ist – und wo noch lange nicht: «Wenn es um Mentalität, Solidarität und Teamgeist geht, können wir mithalten. Bei fußballerischen Dingen ist Luft nach oben.»
Das dürfte allerdings zweitrangig sein, solange die Ergebnisse stimmen. Da werden selbst Rückschläge abgeschüttelt. «Wir glauben an uns. Wir sind mental brutal stark. Es ist natürlich so, wenn man das ein-, zweimal schafft, dann bestärkt dich das», sagte Gießelmann und schloss seine Analyse angelehnt an die Überschrift des Trainers ab: «In Leipzig so ein Spiel zu drehen, das ist schon Wahnsinn.»