Rudi Völler machte auch noch den Stadionsprecher. Bevor die Trainingsgruppe um Kai Havertz und Timo Werner unter glücklichen Kinderrufen in Aktion trat und Stars wie Serge Gnabry oder Lokalmatador Mario Götze fleißig Autogramme schrieben, begrüßte der neue Sportdirektor die rund 3500 Fans, die in Frankfurt zum öffentlichen Training gekommen waren.
«Schönen Nachmittag miteinander. Wir versuchen, alle glücklich zu machen», sprach Völler auf dem Rasen ins Mikrofon. Nach lockeren Regenerationsübungen machte sich auch Hansi Flick später mit Fan-Liebling Niclas Füllkrug auf die Autogramm- und Selfie-Runde.
Mehr Nähe zu den Stars – auch damit will der DFB die Fußball-Fans auf dem Weg zur Heim-EM 2024 wieder für sich gewinnen. Ein Selbstläufer wird das nicht, wie sich am Montag im nicht voll besetzten Stadion am Brentanobad zeigte. Einen Fan-Ansturm wie zu stolzen Weltmeister-Tagen, als nach dem Titelgewinn 2014 in Düsseldorf über 40.000 Zuschauer ins Stadion strömten, muss sich die Nationalmannschaft nach drei Turnier-Flops erst wieder erarbeiten. Die Aktion «Stars zum Anfassen» soll nach Völlers Willen zur Regel werden.
Völler im Zentrum
Am Vormittag hatte der 62-Jährige bei seinem DFB-Comeback wie selbstverständlich im Zentrum des Pressepodiums Platz genommen, flankiert von Bundestrainer Flick und U21-Coach Antonio Di Salvo. Und es war auch Völler, der 19 Jahre nach seinem Rücktritt als Teamchef der Nationalelf die aktuelle Spieler-Generation um Kapitän Joshua Kimmich im Teamhotel in einer Ansprache mit Pathos aufs nächste Turnier 2024 einschwören wollte.
«Es ist das Glück, diese beeindruckende Europameisterschaft hier zu haben. Das werde ich den Spielern klar vor Augen führen, wie schön es ist, so ein großes Turnier im eigenen Land zu haben. Jedes Turnier ist enorm wichtig, aber eines im eigenen Land ist etwas Wunderbares», schwärmte Völler. Dafür wird er Leistung und Hingabe einfordern.
Eine schlechte Nachricht platzte in den Start der Vorbereitung auf die Länderspiele gegen Peru am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) in Mainz und drei Tage darauf in Köln gegen Belgien: Bayern-Star Jamal Musiala musste wegen eines Muskelfaserrisses im linken Oberschenkel, den er sich beim 1:2 in Leverkusen zugezogen hatte, aus dem DFB-Quartier abreisen. «Wir alle haben gehofft, dass Jamal fit ist, weil er einzigartige Qualitäten hat», kommentierte Flick. Der Bundestrainer verzichtete auf eine Nachnominierung. 23 Akteure genügen ihm.
Schutzpatron und Prellbock
Flick und Völler haben die EM zu ihrer gemeinsamen Mission erklärt. Nach der von Flick so sehr bedauerten Demission von DFB-Direktor Oliver Bierhoff ist Nachfolger Völler nun der Schutzpatron und öffentliche Prellbock für den Bundestrainer. «Ich versuche, Hansi zu unterstützen – in jeglicher Hinsicht», versprach Völler. Er will als eine Art Supervisor alles dafür tun, dass die Fans nach drei vermurksten Turnieren (WM 2018, EM 2021, WM 2022) in 15 Monaten ein neues Fußball-Sommermärchen erleben – auch wenn er vorlaute Titelparolen ebenso wie Flick bewusst vermeidet.
«Wir haben fußballerische Qualität, am Rest wird gearbeitet», verkündete Völler. Und Flick sekundierte: «Die Weltmeisterschaft hat uns nicht gerade Rückenwind gegeben. Deswegen ist ein bisschen Demut angebracht. Erfolge kann man nicht garantieren, aber wir werden uns auf dieses Turnier sehr gut, sehr professionell vorbereiten.» Völler sprach als damals noch amtsloser Beobachter der Katar-WM ein Defizit offen an: «Argentinien ist auch Weltmeister geworden, weil bei ihnen die vier, fünf Prozent an Wille, an Mission, an Gier mehr da waren als bei vielen anderen, auch bei uns vielleicht. Da sind wir kein negatives Einzelbeispiel. Wir müssen als Einheit und mit viel Teamspirit auftreten und das mit der fußballerischen Qualität verbinden.»
Völler verordnet dafür intern den großen Schulterschluss. Sichtbar machte er das mit der gemeinsamen Pressekonferenz von A-Team und U21 auf dem DFB-Campus. Er nannte sie «symbolisch». Am Dienstag gibt es zudem einen gemeinsamen Teamabend. Flick füllt «die Verzahnung» mit Leben: Fünf der sechs Neulinge in seinem Kader – Mergim Berisha, Kevin Schade, Felix Nmecha, Josha Vagnoman und Malick Thiaw – kommen aus der U21.
Etliche Routiniers fehlen
«Wer könnte das Potenzial haben, bei der EM 2024 dabei zu sein», lautete Flicks Vorgabe bei der Zusammenstellung seines ersten Aufgebotes 2023 ohne etliche arrivierte Nationalspieler wie Thomas Mülller, Ilkay Gündogan, Antonio Rüdiger, Niklas Süle, Leroy Sané oder Jonas Hofmann. Auch Kimmich reagierte durchaus erstaunt. «Ich war nicht überrascht, dass der eine oder andere neu dabei ist. Ich war eher überrascht, dass der eine oder andere nicht dabei ist», sagte der Bayern-Profi der Mediengruppe Münchner Merkur/tz.
Den insgesamt sechs Neulingen garantierte Flick quasi vorab ihr Länderspiel-Debüt. «So ist der Plan», sagte der Bundestrainer mit Blick auf Einsatzzeiten gegen Peru oder Belgien. Er weiß aber auch, dass die Ergebnisse beim Neubeginn tunlichst stimmen sollten. Dafür will er mit einem Gerüst aus erfahrenen Akteuren sorgen. «Uns ist bewusst, dass wir Stabilität im Team und auf gewissen Positionen Spieler brauchen, die vorangehen», sagte Flick. Er denkt ans Bayern-Duo Kimmich und Leon Goretzka, an Marc-André ter Stegen im Tor oder auch Kai Havertz und den bei der WM überzeugenden Füllkrug.