Am Samstag wurde Rudi Völler nach rund 45 Jahren von der großen Fußball-Bühne verabschiedet. Erst von den Fans im Stadion, dann von vielen Weggefährten auf einer Abschieds-Feier.
Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht der 62 Jahre alte Weltmeister von 1990 darüber, wie es nun weitergeht.
Herr Völler, Sie sagten vor Ihrem Abschied am letzten Bundesliga-Spieltag, Sie würden nicht wehmütig werden. War es tatsächlich so?
Rudi Völler: Obwohl ich lange in Südeuropa gelebt habe, bin ich in solchen Dingen deutsch geblieben. Wenn ich mit etwas abschließe, schließe ich damit ab. Aber es war natürlich ein sehr bewegender Tag. Auch die Stimmung war außergewöhnlich. Es macht mich stolz, dass die Leistungen in den vergangenen Jahren so waren, dass die Leute Freude haben an unserem Fußball und sich richtig viel entwickelt hat in Leverkusen. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass wir mehr Tore schießen als die Weltklasse-Mannschaft von 2002.
Viele in der Bundesliga werden Sie vermissen. Werden wir Sie denn künftig noch sehen und hören?
Völler: Ich werde sicher auch mal ab und zu meine Meinung sagen, wenn ich das Gefühl habe, meinen Club verteidigen zu müssen oder dass mal was Kritisches gesagt werden sollte. Aber, da kann man sich auf mich verlassen, alles mit einem gewissen Augenmaß. Und – ich bin sicher, dass ich das hinbekomme – auch nicht zu oft. Ich werde ganz sicher nicht den Besserwisser geben. Das auf keinen Fall. Doch ich habe ein gutes Verhältnis zu allen bei Bayer 04, die ich ja auch zum Teil selbst installiert habe. Das haben uns die Bayern ein bisschen vorgemacht: Ex-Spieler mit großer Historie in sehr wichtigen Funktionen einzubinden. Wie nun bei Simon Rolfes oder Stefan Kießling. Das gehört zu einem Traditionsclub dazu. Und wir sind ein Traditionsclub.
Gehen Sie in den Ruhestand? Oder wird es in Ihrem Fall eher ein Unruhestand?
Völler: Das weiß ich nicht. Das wird man dann sehen. Wenn man so lange wie ich im Sport dabei war, geht man ja nicht komplett in Rente. Ganz auf die faule Haut lege ich mich sicher nicht. Ich freue mich auch jetzt schon, wenn die Bundesliga wieder losgeht. Und ich freue mich auf die Auslosung der Champions-League. Da simmer dabei!
Sie gehören dem Gesellschafterausschuss an und sind Vereinsbotschafter von Bayer? Sind weitere Dinge geplant? Sehen wir Sie vielleicht als TV-Experte?
Völler: Man soll nie nie sagen. Aber erstmal beschäftige ich mich damit nicht.
Wofür werden Sie künftig mehr Zeit aufbringen außer für die Familie?
Völler: Vor allem freue ich mich auf freie Wochenenden. Gefühlt habe ich seit ich 17 oder 18 bin kein klassisches Wochenende mehr gehabt. Der Samstag ist immer der wichtigste Termin gewesen. Und der Sonntag konnte auch sehr anstrengend sein, wenn man verloren hat. Ich freue mich, dass dieser Druck abfällt. Ich bin nicht so scheinheilig zu sagen, ich habe so viel erlebt, dass ich über den Dingen stehe. Es hat mir schon auch zugesetzt, wenn es nicht lief.
Sie wurden zuletzt oft nach dem Geheimnis Ihrer Popularität gefragt. Am Ende fiel vor allem das Wort Authentizität.
Völler: Ich versuche, mich immer anständig und rücksichtsvoll auszudrücken, aber der Kern meiner Meinung sollte schon deutlich rüberkommen. Möglichst, ohne jemandem vor den Kopf zu stoßen.
Geht das heute noch in diesem Geschäft?
Völler: Ich bin da bei Uli Hoeneß. Er sagt manchmal Dinge, von denen er weiß, dass sie nicht gut ankommen werden und er sich damit Gegner machen wird. Er sagt sie trotzdem, und wenn man genau hinschaut, stimmen sie oft. Grundsätzlich bin ich natürlich in einer anderen Medienwelt aufgewachsen. Heute bist du vorsichtiger. Heute musst du kein Interview mehr mit einem überregionalen Medium machen, wenn du etwas platzieren willst. Du kannst auch mit einer Schülerzeitung reden. Wenn du da jemanden in die Pfanne haust, steht es zehn Minuten später überall im Netz. Oder du kannst es sogar selbst posten, dann musst du nicht mal ein Interview geben. Es ist nicht immer meine Welt, das muss ich zugeben, aber ein bisschen dran gewöhnt habe ich mich.
Werden wir Sie also vielleicht doch irgendwann auch in den sozialen Medien erleben?
Völler: Nein, werden Sie nicht. Dass ich selbst aktiv werde, kann man mit großer Sicherheit ausschließen.
Wie hat sich der Fußball in den 45 Jahren, in denen Sie nun dabei sind, entwickelt?
Völler: Er hat sich natürlich verändert, sich modernisiert. Bei aller Tradition ist das auch wichtig. Am Anfang war ich zum Beispiel noch gegen den Videobeweis. Jetzt kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass er nicht mehr da ist. Auch wenn es manchmal nervt. Man kann es immer noch besser machen, Menschen machen eben auch Fehler. Und es gab weitere Veränderungen, die gut waren für den Fußball. Dass die Auswärtstor-Regel abgeschafft wurde, war höchste Zeit. Auch die fünf Auswechslungen sind eine gute Sache. Die Pandemie war für alle furchtbar. Das einzige, was sie für den Fußball gebracht hat, waren die fünf Auswechslungen. Ich hoffe, sie bleiben.
Sie haben in Ihrer Karriere einige Male als Trainer aushelfen müssen. Haben aber immer betont, dass Sie das nicht wollen und sich alsbald wieder zurückgezogen. Wieso?
Völler: Ich wollte nie Trainer werden. Und auch wenn ich eingesprungen bin, ist nie der Gedanke aufgekommen, dass ich es doch will. Mir war klar: Ich kann das zwar machen als Vereinstrainer, ein paar Wochen, vielleicht auch zwei, drei Monate. Aber nicht langfristig. Es gibt einige, die sind als Trainer geboren. Ralf Rangnick zum Beispiel. Auch, wenn er auch als Sportdirektor arbeiten kann, er ist ein Fußball-Trainer, das ist seine Berufung.
Ich selbst habe mich schon immer dafür interessiert, ins Management zu gehen. Schon am Ende meiner Profi-Karriere habe ich ein bisschen über den Tellerrand geschaut. Zum Beispiel, als ich dem Präsidenten von AS Rom empfohlen habe, Thomas Häßler zu verpflichten, weil das genau der Spieler war, der uns noch gefehlt hatte. Ich hatte auch nur zu Beginn meiner Karriere einen Berater. Den Großteil – 13, 14 Jahre lang – hatte ich gar keinen, sondern habe alles alleine oder zumindest mit einem Anwalt gemacht. Deshalb war das Angebot von Reiner Calmund, ihm zu assistieren, für mich super.
DFB-Teamchef waren Sie aber immerhin vier Jahre lang.
Völler: Nationaltrainer ist ein ganz anderer Job. Das ist ein Mix, da bist Du im Grunde beides – Manager und Trainer.
Gibt es Dinge, die Sie bereuen?
Völler: Wer tut das nicht? 2004 hätte ich auf meine Frau hören sollen, die mir abgeraten hat, Trainer bei AS Rom zu werden. Als ich 2004 beim DFB zurückgetreten bin, war ich etwas ausgelaugt. Ich hatte viele Angebote als Trainer, aber ich wollte erst mal ein halbes Jahr Pause machen. Aber es gibt zwei Clubs, bei denen ich nicht nein sagen kann: Bayer Leverkusen und AS Rom. Ich wollte in einer schwierigen Situation helfen. Im Nachhinein war es falsch.
Welche Entscheidung ist Ihnen am Schwersten gefallen?
Völler: Es ist nicht leicht, Trainern sagen zu müssen, dass man sich von ihnen trennt. Oder Spielern mitzuteilen, dass sie keinen neuen Vertrag mehr bekommen. Das ist nicht schön, aber so ist das Geschäft. Ich kann das aushalten. Und der andere muss es auch aushalten. Man macht sowas ja nie aus persönlichen Gründen. Richtig schwergefallen, ist es mir aber bei Roger Schmidt. Er hat in den fast drei Jahren, die er da war, richtig guten Fußball spielen lassen, ist ein Trainer, der seinen eigenen Weg geht. Aber es ging nicht anders.
Sie kamen 1994 zu Bayer, im Jahr vorher gab es den letzten Titel. War dies eine Art Fluch?
Völler: Uns hingen immer die Geschichten von 2000 und 2002 nach. Da musste Bayer Titel gewinnen, das hängt uns heute noch nach. 2000 in Unterhaching hat am letzten Spieltag vielleicht das Nervenkostüm versagt. 2002 war es fast unmöglich, mit dieser Mannschaft nichts zu gewinnen. Sie war im Champions-League-Finale besser als Real Madrid. Aber das war ein bisschen der Fluch der guten Tat. Du spielst die ganze Saison in drei Wettbewerben, erreichst auch das Pokalfinale und verlierst das auch noch. Wenn du im Viertelfinale mit Pauken und Trompeten gegen Liverpool ausgeschieden wärst, wärst du mit fünf, sechs Punkten Vorsprung Meister geworden. Aber das lässt sich nicht mehr ändern.
Bei den Bayern gibt es derzeit etwas Theater. Macht man sich da als Dritter des Vorjahres Gedanken, ob in der kommenden Saison vielleicht was geht mit dem Meistertitel?
Völler: Bayern ist die beste Mannschaft in Deutschland. Das ist Fakt. Und wenn die in der entscheidenden Phase der Champions League mit zwei K.o.-Spielen eine schlechte Phase haben und ausscheiden, gibt es in München eben Theater. Da müssen sie durch. Ansonsten haben sie von den zehn Meistertiteln auch nicht alle mit 15 Punkten Vorsprung geholt. Da waren schon zwei, drei knappe Entscheidungen dabei. Das kann immer wieder passieren. Entscheidend wird, was passiert, wenn Lewandowski, Neuer und Müller irgendwann nicht mehr dabei sind. Dann werden sie immer noch eine Top-Mannschaft haben. Aber das war in den vergangenen zehn Jahren das Gerippe.
Zum Schluss: Sie haben vor einigen Wochen erzählt, dass Sie niemals Latte macchiato trinken würden, weil das ein Frauen-Getränk ist. Hätten Sie mit den Reaktionen gerechnet?
Völler: So schlimm waren die ja gar nicht, das alles war ja außerdem auch nur mit einem Schmunzeln dahingesagt. Nicht mehr, nicht weniger.
Zur Person: Rudi Völler (62), spielte als Profi für Kickers Offenbach, 1860 München, Werder Bremen, AS Rom, Olympique Marseille und Bayer Leverkusen. Seine größten Erfolge waren der WM-Titel 1990 und der Champions-League-Sieg mit Marseille 1993. In Leverkusen begann er 1996 als Sportdirektor seine Funktionärs-Karriere. Bis auf viereinhalb Jahre, als er zunächst von 2000 bis 2004 Teamchef der Nationalmannschaft war und danach kurz Trainer von AS Rom, blieb er immer bei Bayer. Am letzten Spieltag vergangene Woche verabschiedete er sich als Geschäftsführer nach 21 Jahren in sportlichen Führungspositionen.