Nach nur 100 Tagen haben die neuen Chelsea-Eigentümer das Vertrauen in Thomas Tuchel verloren. Eiskalt setzten die neuen Club-Besitzer um US-Milliardär Todd Boehly den deutschen Trainer am Morgen nach dem verpatzten Champions-League-Start vor die Tür.
Medien zufolge soll der 49-Jährige in einer knappen Telefonschalte davon erfahren haben, seine Bitte um eine zweite Chance sei unerfüllt geblieben. Es sei «der richtige Zeitpunkt für diesen Wechsel», hieß es im kühlen Manager-Sprech auf der Website der Londoner. Tuchel werde «zurecht seinen Platz in der Chelsea-Geschichte haben».
«Es fehlt alles im Moment»
Vorausgegangen war ein durchwachsener Saisonstart. In der Premier League hatten die Blues nur drei von sechs Spielen gewonnen. Nach dem 2:1 gegen West Ham United am Samstag hatte Tuchel zwar die Hoffnung geäußert, den Schwung mitzunehmen. Doch am Dienstag war der Schwung schon wieder verflogen, als Chelsea sein erstes Gruppenspiel in der Champions League bei Dinamo Zagreb mit 0:1 verlor. «Es fehlt alles im Moment», sagte Tuchel selbstkritisch und fügte hinzu: «Es gibt so viel zu analysieren. Ich bin ein Teil davon.»
Doch angeblich ist der überraschende Rauswurf keine Reaktion auf die Niederlage. Laut britischen Medien hatten die neuen Chelsea-Inhaber schon länger mit dem Schritt geliebäugelt. Dabei war noch vor einigen Wochen über eine vorzeitige Vertragsverlängerung spekuliert worden. Nun berichtete der «Telegraph» allerdings, hinter den Kulissen habe es seit einiger Zeit Spannungen gegeben. Das Verhältnis zwischen den Inhabern und Tuchel sei abgekühlt.
Zuletzt sei auch Tuchels Beziehung zu einigen Spielern angespannt gewesen, hieß es. Einer allerdings war gerade erst wegen Tuchel nach London gewechselt. Pierre-Emerick Aubameyang, der schon bei Borussia Dortmund erfolgreich mit dem Coach zusammengearbeitet hatte, war vom FC Barcelona gekommen. Der Stürmer kam in Zagreb zu seinem ersten Chelsea-Einsatz, der zugleich sein letztes Spiel unter Tuchel war.
Große Personalrochade beim FC Chelsea
Aubameyang war Teil einer umfangreichen Transferoffensive der Blues im Sommer. Der Club, der zuvor die glücklosen Stürmer Timo Werner und Romelu Lukaku verabschiedet hatte, hatte sich auf mehreren Positionen für insgesamt rund 300 Millionen Euro verstärkt. Unter anderem lotsten die Blues Raheem Sterling, Kalidou Koulibaly, Marc Cucurella, Denis Zakaria und Wesley Fofana an die Stamford Bridge.
Tuchels Vertrag galt noch bis zum Sommer 2024. Bei den Chelsea-Fans ist der Deutsche beliebt. In anderthalb Jahren in London gewann er die Champions League, den Supercup und die Club-Weltmeisterschaft. Zudem führte er die Blues zweimal ins FA-Cup-Finale, das Chelsea in diesem Jahr unglücklich im Elfmeterschießen gegen Liverpool verlor.
Viel Lob erntete Tuchel dafür, dass er dem Verein in der schwierigen Phase die Treue hielt. Als der Ex-Inhaber, der russische Milliardär Roman Abramowitsch, wegen seiner angeblichen Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin mit Sanktionen belegt wurde und Chelsea keine Spieler verpflichten durfte, schloss Tuchel einen vorzeitigen Abschied aus. Schließlich übernahm Boehlys Konsortium den Verein.
Potter nun Kandidat auf Tuchel-Nachfolge
«Es hat nicht lange gedauert, bis der neue Inhaber der Politik seines Vorgängers folgt und seinen Trainer in der ersten Formkrise entlässt», kommentierte Fußball-Ikone Gary Lineker. Schon unter Abramowitsch war Chelsea bei Entlassungen nicht zimperlich. José Mourinho musste nach zwei Meistertiteln gehen, in seiner zweiten Amtszeit nach dem Gewinn von FA Cup und Ligapokal. Carlo Ancelotti hatte vor seiner Beurlaubung die Meisterschaft und den FA Cup mit den Londonern geholt, Roberto Di Matteo die Champions League.
Als Topkandidat auf Tuchels Nachfolge gilt Graham Potter. Der Trainer von Brighton & Hove Albion wurde noch am Mittwoch zu Gesprächen in London erwartet, nachdem sein Arbeitgeber dafür Grünes Licht gegeben hatte. Weitere Kandidaten sind die vereinslosen Trainerstars Mauricio Pochettino (ehemals Tottenham Hotspur, Paris Saint-Germain) und Zinedine Zidane (Real Madrid).
Tuchel, der Anfang des Jahres zum FIFA-Welttrainer gewählt wurde, war vor seinem Engagement in London Trainer bei Paris Saint-Germain gewesen. In der Bundesliga hatte er den FSV Mainz 05 und Borussia Dortmund betreut. Nun muss sich der Fußball-Lehrer ziemlich unvermittelt nach einem neuen Arbeitgeber umsehen.