Am Anfang der zentralen personellen Weichenstellungen im DFB stand ein Versteckspiel. Die drängende Frage nach der Zukunft von Bundestrainer Hansi Flick und der Fußball-Nationalmannschaft auf dem Weg zur Heim-EM 2024 sollte in einer Dreierrunde verhandelt werden, die aus ihrer für Mittwoch verabredeten Zusammenkunft ein Staatsgeheimnis machte.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf, DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke und Flick wollten sich bei der kritischen Analyse des WM-Scheiterns in Katar nicht beobachten lassen. Am Frankfurter DFB-Campus ließ sich das Trio am Vormittag nicht blicken.
Neuendorf: «Müssen den Blick nach vorne richten»
Die Krisen-Runde, die bis zur rasend schnell erfolgten Demissionen von DFB-Direktor Oliver Bierhoff eigentlich als Vier-Mann-Treffen geplant war, wollte auch erörtern, welche Zukunft Flick als Bundestrainer hat. «Wir müssen den Blick nach vorne richten», hatte Verbandschef Neuendorf am Tag nach dem WM-Aus betont.
Die Woche der Entscheidungen im deutschen Fußball, die am Montag mit Bierhoffs Abschied begann, ist mit dieser ersten WM-Konsequenz noch lange nicht rum. Als Königsmacher gilt vielen Dortmund-Chef Watzke. Beraten und diskutiert wird aber auf vielen Ebenen und in etlichen Gremien. Am Donnerstag tagen die Präsidenten der Landesverbände mit DFB-Chef Neuendorf. Auf vier Stunden ist die Sitzung angesetzt. Die Amateure wollen aus erster Hand erfahren, wie es weitergeht.
Eine erfolgreiche Nationalmannschaft ist wichtig für die Arbeit an der Basis. Es geht dabei auch um Geld. Mit dem WM-Viertelfinale war beim DFB kalkuliert worden. Acht Millionen Euro an FIFA-Prämien fehlen nach dem Vorrunden-Aus. Am Donnerstagnachmittag konferiert der Aufsichtsrat der DFB GmbH. Am Freitag folgen das DFB-Präsidium und der DFB-Vorstand.
Heiß diskutiert und spekuliert wird über die Bierhoff-Nachfolge. Der medial stark gehandelte Ex-Nationalspieler Fredi Bobic winkt aber derzeit ab. «Ich habe einen Job, ich fühle mich sauwohl bei Hertha», sagte der Sport-Geschäftsführer des Berliner Bundesligisten am Mittwoch. Für den 51-Jährigen geht es zunächst «um die Inhalte, um Profile» – und nicht um Personen.
DFB-Auswahl vor einem Umbruch
Die vorrangige Personalie ist ohnehin die des Bundestrainers: Weiter mit Flick? Viel WM-Fußball hat der 57-Jährige nicht geschaut seit der aus seiner Sicht unnötig frühen Rückkehr aus Katar. Als zentrale Erkenntnis steht in seiner Analyse, dass viel mehr drin gewesen wäre bei seinem ersten Turnier als Bundestrainer – trotz der negativen Schwingungen abseits des Platzes wie die übergroße Katar-Debatte mit der «One Love»-Kapitänsbinde.
Keine Mannschaft verzeichnete in der Gruppenphase mehr Torschüsse als die DFB-Auswahl, nämlich 69. Aber es landeten halt nur sechs im Tor. Das Nationalteam kam nicht in den von Flick spätestens in der K.o.-Phase erwarteten Turnier-Flow. «Die Summe der Spiele hat dazu beigetragen, dass wir ausgeschieden sind», analysierte der Bundestrainer.
Mit dem Aus von Japan und Spanien im Achtelfinale hat sich aber auch die Stärke der deutschen Gruppe im Nachhinein relativiert. Das war übrigens auch schon bei der EM 2021 unter Joachim Löw der Fall: Die Mitglieder der «Hammer»-Gruppe Deutschland, Frankreich und Portugal flogen alle im Achtelfinale raus.
War Katar nur der nächste Betriebsunfall? Diese Frage müssen Neuendorf, Watzke und Flick jeweils für sich und gemeinschaftlich beantworten. Aus ihr folgt, ob dem Bundestrainer als zweite Chance die Europameisterschaft 2024 anvertraut werden kann. Das Heimturnier eröffnet die Chance, die Nation wieder hinter der Nationalmannschaft zu versammeln.
Neuendorf und Watzke könnten auch zum Ergebnis kommen, dass ein Neuanfang mit einem anderen Trainer angeraten ist. Thomas Tuchel ist aktuell ohne Job. Und Stefan Kuntz, derzeit Nationaltrainer der Türkei, hatte in der Vergangenheit großen Erfolg mit der U21.
Bierhoff-Aus ein schwerer Schlag für Flick
Flick hatte – noch in Katar – große Lust auf die EM verströmt: «Mir macht es Spaß. Wir haben eine gute Mannschaft, gute Spieler, die nachkommen.» Er hat in 16 Monaten eine enge Verbindung zu seiner Mannschaft aufgebaut. Er war aber auch ganz besonders eng mit Bierhoff verbunden, der dann noch vor der WM-Analyse seinen Posten räumen musste.
Für Flick war das ein Schlag. Er empfindet die Fokussierung der Schuld auf seinen Freund und Vertrauten als Wahnsinn. Tief ließ Flicks öffentliches Statement blicken: «Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer, wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann.» Daraus konnte auch gelesen werden, dass Flick nicht jeden Nachfolger akzeptieren würde.
Wer übernimmt Bierhoffs Aufgaben? Der frühere Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack plädiert wie Bobic zunächst für einen «Findungsprozess». Andere Ex-Internationale oder Experten argumentieren vorzugsweise mit Namen, von Bobic und Ralf Rangnick bis hin zu Thomas Hitzlsperger oder Per Mertesacker. Und Watzke dürfte daran gelegen sein, seinen Dortmunder Chef-Berater Matthias Sammer auch beim DFB wieder einzubinden.
«Es war jetzt Zeit, dass jemand anderes kommt», sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger zur Demission von Bierhoff nach 18 Jahren. Nahe am Team wünscht sich der Weltmeister von 2014 einen Nachfolger, «der vielleicht unbequemer ist für die Spieler, vor dem die Spieler auch Respekt haben». Womöglich ein Kontra-Punkt zum Harmonie getriebenen Flick?