Der bemerkenswert drahtig agierende Teamsenior Mats Hummels besetzt bei seinem DFB-Comeback wie selbstverständlich die Position im Abwehrzentrum neben Platzhirsch Antonio Rüdiger.
Und auch Joshua Kimmich darf auf der USA-Reise der Fußball-Nationalmannschaft bei Julian Nagelsmann wie in gemeinsamen Münchner Tagen gleich wieder seinen Lieblingsplatz im Mittelfeldzentrum neben Kapitän Ilkay Gündogan einnehmen.
Wenn die ersten Trainingssequenzen im beschaulichen Foxborough unweit der Metropole Boston nicht täuschen, lauten die Sofortmaßnahmen des neuen Bundestrainers beim kurzen Countdown für das Länderspiel gegen Gastgeber USA am Samstag (21.00 Uhr/RTL) in Hartford: Erfahrene Profis ans Schaltpult. Und so ganz flott ein belastbares Gerüst bauen, damit eine erfolgreiche Heim-EM 2024 nach zuletzt drei Turnier-Flops zumindest wieder denkbar ist.
Nagelsmann für Völler ein «Glücksfall»
«Es ist selbstredend: Wenn man ein Turnier spielt, nimmt man daran teil, um zu gewinnen», hatte Nagelsmann bei seiner Anstellung gesagt. Das klang kühn. Für den 36-Jährigen ist es aber eher eine ambitionierte Zielsetzung. Die Stimmung in Foxborough ist konzentriert und optimistisch. Nagelsmann schafft aber auch Freiräume. 13 Spieler besuchten die Elite-Universität Harvard – auch da kann man Gedankenanstöße bekommen, zwei Profis schauten sich mit einem Kamerateam das WM-Stadion 2026 in Foxborough an, im Alltag Spielstätte der New England Patriots in der NFL.
Vor allem auf dem Platz geht Nagelsmann sein EM-Projekt anders als Vorgänger Hansi Flick an, der weder vor noch nach der vermurksten Katar-WM ein Kernteam mit einer klaren Systematik und vertrauten Abläufen schuf. Nagelsmann, für den im US-Bundesstaat Massachusetts wieder freudig zuschauenden Sportdirektor Rudi Völler «ein Glücksfall», prägte genau dafür ein neues Modewort: «Grundprinzipien.»
Der Begriff ist sofort in den Wortschatz der Spieler übergegangen. «Es gab relativ klare Ansagen über Prinzipien, die wir in unserem Spiel haben wollen», sagte Kapitän Gündogan. Und Jonas Hofmann sekundierte nach den ersten Basis-Spielformen auf dem gepflegten Trainingsgrün: «Wir haben ein paar Grundprinzipien gespielt, die immer da sein sollen.»
Bundestrainer setzt auf Erfahrung
Nagelsmann formt ein Gerüst, das augenscheinlich weitgehend aus Ü30-Akteuren bestehen wird: Marc-André ter Stegen (32) im Tor. Rüdiger (30) und Hummels (34) davor. Gündogan (32) und der zwar erst 28-Jährige, aber schon auf 80 Länderspiele kommende Kimmich im Mittelfeld. Und in der Sturmspitze ist der in nur einem Jahr als Nationalspieler zu einem Wortführer gereifte Niclas Füllkrug (30), der durch seinen Wechsel von Werder Bremen zu Borussia Dortmund noch ein Upgrade erfahren hat, erste Wahl.
Dazu kommt Thomas Müller (34), der – ob auf dem Platz oder daneben – einer Mannschaft immer einen Input geben kann. «Wir brauchen Spieler, die Verantwortung übernehmen», sagte Nagelsmann; Typen wie die beiden 2014-Weltmeister Hummels und Müller.
«Ich finde Erfahrung schon extrem wichtig», sagte Triple-Champion Gündogan. Junge Spieler hätten oft noch «nicht das richtige Gefühl für gewisse Situationen auf dem Platz. Manchmal braucht man ein bisschen Ruhe, ein bisschen Geduld.» Turniererfahrung ist ein Schatz. Der auch schon 31-jährige Hofmann sagte: «Erfahrung kann einer Mannschaft viel geben.»
Das erlebe er gerade beim Bundesliga-Spitzenreiter Bayer Leverkusen, wo der gehypte Trainer Xabi Alonso einem talentierten Team mit erfahrenen Profis wie dem in der Premier League gestählten Schweizer Granit Xhaka (31) und dem Ex-Gladbacher Hofmann Halt und Orientierung gibt.
Zwölf der 26 Profis im DFB-Kader befinden sich im vierten Lebensjahrzehnt. Der Altersschnitt beträgt 28,5 Jahre. Nur vier Akteure sind jünger als 25. Ist es da noch Zufall, dass zwei der Neulinge – Kevin Behrens (32) und Robert Andrich (29) – auch schon im reiferen Alter sind? Gerade in der Startphase könne Nagelsmann die Reife helfen, glaubt Hofmann: «Erfahrene Spieler brauchen nicht so lange, um die neuen Dinge eines Trainers zu adaptieren.»
Nagelsmann lebt im «Hier und Jetzt»
Hochbegabte Jungspunde wie Bayers Florian Wirtz und Bayerns Jamal Musiala (beide 20) oder der so formstarke Münchner Angreifer Leroy Sané (27) sollen sich umgeben von den Älteren in Nagelsmanns 4-2-2-2-System ausleben und jene Fußball-Momente kreieren, die der Bundestrainer spätestens beim Heim-Turnier sehen will. Und am besten auch schon am Samstag in seinem Premieren-Spiel, das mit Spannung erwartet wird.
«Wir haben alle eine große Verantwortung, den besten Fußball für Deutschland zu spielen», sagte Nagelsmann. Er denkt aber nicht weit in die Zukunft. Selbst die EM 2024 schiebt der 36-Jährige auf dem Amerika-Trip an die Seite. Dauernd spricht Nagelsmann vom «Hier und Jetzt», es ist ein weiteres Mantra neben den «Grundprinzipien». Das Hier und Jetzt heißt idealerweise, erst die USA besiegen und danach Mexiko in Philadelphia.
Einfache Handreichungen im Training und in den Teamsitzungen sollen dafür die Grundlage schaffen. «Es ist auch für ihn neu auf Nationalmannschaftsniveau, wo die Zeit begrenzt ist», bemerkte Gündogan zum bisherigen Vereinscoach Nagelsmann. «Aus der wenigen Zeit will er das Maximum rausholen.» Der Kapitän wagte nach den ersten positiven Arbeitsstunden mit dem neuen Chefcoach eine Prognose: «Es kann richtig gut werden.»