Sven Michel sieht nicht aus wie ein Comic-Held. Die O-Beine sind auch nicht so ausgeprägt wie bei einem Cowboy. Und doch ist der Stürmer von Union Berlin gerade der Lucky Luke von Köpenick. Keiner schießt schneller – und trifft dabei zuverlässig wie sicher.
139, 22, 128. Diese ungewöhnliche Zahlenfolge steht für die Sekunden, die der 31-Jährige für seine drei Treffer im April nach seinen Einwechslungen gegen Hertha BSC (4:1), RB Leipzig (2:1) und die SpVgg Greuther Fürth (1:1) benötigte. Bämm, bämm, bämm. Wenn Michel kommt, zündet das Angriffsspiel der Eisernen in der Fußball-Bundesliga.
«Entweder du hast es oder hast es halt nicht», lautete Michels Versuch einer Erklärung für seine erstaunliche Joker-Serie. Das klang ein bisschen nach Arroganz. Doch die ist Michel so fremd wie seinem selbstlosen Comic-Alter-Ego im Wilden Westen jede Eitelkeit bei der Verbrecherjagd. «Es wäre schön, wenn es für noch eins gereicht hätte», sagte Michel nach einem ziemlich drögen Fußball-Abend im Stadion an der Alten Försterei gegen den Absteiger aus Franken.
Ziel: Europa
Dass sich Union weiter gute Chancen auf die erneute Qualifikation für einen Europacup-Wettbewerb ausrechnen kann, liegt mittlerweile maßgeblich an Michel. «Wir haben alles selber in der Hand. Ich bin überzeugt, dass wir Europa noch schaffen», sagte er. Der Angreifer brauchte aber gut zwei Monate, um sich im Osten Berlins zu akklimatisieren. Die Grundkoordinaten waren schwierig. Er bekam als später Januar-Transfer vom Zweitligisten SC Paderborn den Stempel des Nachfolgers von Lichtgestalt Max Kruse aufgedrückt.
Michel mit dem Wieder-Wolfsburger zu vergleichen passt aber weder auf noch neben dem Platz. Ein Zahlenbeleg: Bei Instagram hat Michel 8849 Follower und Kruse 387.000. Michels Spiel lebt von Explosivität und viel Gewusel, so luchste er auch Fürths armen Verteidiger Nick Viergever am Freitagabend vor seinem Ausgleich im Strafraum den Ball ab. Und so schoss er im Dezember 2020 in Diensten des SC Paderborn Union Berlin mit einem Doppelpack aus dem DFB-Pokal. Spätestens danach hatte ihn Geschäftsführer Oliver Ruhnert auf dem Zettel, ganz unabhängig vom plötzlichen Fortgang Kruses.
Kapitän happy
Geboren in Freudenberg im Siegerland arbeitete Michel einst in einer Walzengießerei. Das kommt gut an bei den Image-Proletariern des 1. FC Union. Kapitän Christopher Trimmel ist einfach happy über die Entwicklung des Angreifers. «Da braucht man schon das Feeling, das hat er», sagte der Österreicher über Michels Joker-Serie. Und Trainer Urs Fischer findet es einfach gut, dass er einen Stürmer hat, der «auf den Punkt bereit ist.»
Warum spielt Michel dann nicht regelmäßig von Anfang an? Bei neun von elf Liga-Einsätzen kam er wie gegen Fürth von der Bank. Sind die Joker-Qualitäten etwa ein Fluch? Ist Michel im Schlussspurt so gut, dass Fischer ihn nur als Spezialkraft sieht? Der Trainer erkannte zuletzt eine gewisse Enttäuschung. «Da muss man ihm ein Kompliment machen, wenn es um die Einstellung geht. Er versucht sich aufzudrängen», sagte Fischer.