Karl-Heinz Rummenigge mischt wieder aktiv mit beim FC Bayern München. Zwei Jahre nach seinem Rückzug als Vorstandsvorsitzender wurde der 67-Jährige als neuntes Mitglied in den Aufsichtsrat des deutschen Fußball-Rekordmeisters berufen.
Er will seinem Herzensclub in unruhigen Zeiten mit seiner «Fußball-Expertise» helfen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur sagte er am Mittwoch aber auch: «Was ich nicht tun werde, ist, dass ich operativ eingreife.»
Frage: Zwei Jahre nach Ihrem Rückzug als Vorstandsvorsitzender kehren Sie als Aufsichtsratsmitglied zum FC Bayern zurück. Warum?
Karl-Heinz Rummenigge: Herbert Hainer und Uli Hoeneß haben mich vor einigen Wochen angesprochen, ob ich bereit wäre, in der aktuellen Situation den FC München zu unterstützen und ihnen mit meiner Fußball-Expertise im Aufsichtsrat zu helfen. Dort war ja schon seit einiger Zeit eine Position vakant. Nun ist es mir ein Bedürfnis, den Club, in dem ich 40 Jahre meines Lebens als Spieler, Vizepräsident und Vorstandsvorsitzender verbracht habe, zur Seite zu stehen. Wichtig ist, dass man die Dinge jetzt richtig interpretiert und richtig angeht. Ich möchte auch hier Klarheit für die Öffentlichkeit schaffen, was meine Aufgaben sind – und was nicht meine Aufgaben sein werden.
Ihr Comeback hat sofort Erwartungen geweckt. Auch der neue Vorstandschef Jan-Christian Dreesen sprach davon, dass Sie jetzt wieder «mit im Team» seien. Wie definieren Sie selbst Ihre Rolle?
Ich bin auf der Aufsichtsratssitzung formal zum Mitglied dieses Gremiums ernannt worden. Darin besteht schon ein erster großer Unterschied zu dem, was ich früher gemacht habe. Der Aufsichtsrat ist das höchste Gremium, aber das operative ist der Vorstand. Den führt jetzt Jan-Christian Dreesen als Vorsitzender an. Und wir hoffen, dass wir auch beim Sportdirektor/Sportvorstand zügig eine Lösung präsentieren können. Ich werde versuchen, als Aufsichtsrat den Verein zu beraten und auch im entsprechenden Sinn zu beaufsichtigen.
Was heißt das in der Praxis?
Wenn in Zukunft Dinge im Sport anstehen, wird man sicherlich im Aufsichtsrat speziell Uli Hoeneß und mich um Rat fragen. Was ich nicht tun werde, ist, dass ich operativ eingreife. Es wird Aufgabe des Vorstandsvorsitzenden und des künftigen Sportvorstands/Sportdirektors sein, Gespräche und Verhandlungen zu führen. Solange Letzterer nicht da ist, werden Uli und ich zusammen mit Herbert Hainer, Jan-Christian Dreesen und dem Trainer versuchen, diese Dinge zu bewerkstelligen.
Sie sehen sich also in einer Beraterrolle. Welche dringenden Ratschläge geben Sie dem FC Bayern nach dieser unruhigen Saison?
Ich war einige Zeit kein Insider. Aber es fällt auf, dass mit dem Trainerwechsel im März eine ziemlich große Unruhe in den Club gekommen ist. Dazu kam, dass man ziemlich zügig aus dem DFB-Pokal und der Champions League leider ausgeschieden ist. Damit kam Unzufriedenheit auf. Wichtig ist, dass im Club wieder gewisse Werte gelebt werden, die für den FC Bayern immer sehr wichtig waren. Ich war immer ein Freund davon, miteinander statt übereinander zu reden. Der FC Bayern ist immer eine große Familie gewesen. Werte wie Harmonie, Loyalität, Atmosphäre, die müssen wir zurückbringen. Die Spieler müssen Spaß haben an ihrem Job. Der Trainer auch. Und die Fans müssen auch Spaß am FC Bayern haben. Wir müssen wieder zu einer Einheit werden. Damit war der FC Bayern immer erfolgreich. Bei Vereinen wie Paris Saint-Germain oder Manchester City ist unglaublich viel Geld vorhanden. Aber wir müssen unsere Stärke aus dem Mannschaftsgeist, aus dem Spirit holen – und daraus, dass der Club gemeinsam mit den Fans wieder wie eine Wand zusammensteht.
Oliver Kahn hat Ihre großen Fußstapfen nicht ausfüllen können. Trauen Sie das Jan-Christian Dreesen zu?
Über Oliver Kahn möchte ich nichts Negatives sagen. Ich spüre seit 2001 eine große Dankbarkeit ihm gegenüber. Das Finale in Mailand gegen Valencia, das uns zum Champions-League-Sieger gemacht hat, hätten wir ohne Oliver Kahn nicht gewonnen. Er hat drei Elfmeter im Elfmeterschießen gehalten. Darum sind wir ihm alle dankbar und werden es auch immer sein. Jan-Christian Dreesen steht jetzt für einen Paradigmenwechsel. Der Club ist seit Jahrzehnten von ehemaligen Spielern gemanagt oder geführt worden, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, meine Person.
Jan-Christian ist ursprünglich Finanzexperte, war früher schon im Banken-Vorstand. Aber ich habe acht Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Und ich kann nur sagen: Die zwei Finanzvorstände, mit denen ich in meinen 20 Jahren als Chef den Club geleitet habe, waren beide top. Sie waren ganz wichtig für das Wohlergehen des FC Bayern. In Zeiten wie diesen, in denen hunderte Millionen Euro im Fußball verbrannt werden, hat es der FC Bayern trotz der großen Corona-Krise geschafft, keine Verluste zu machen. Ich halte Jan-Christian für einhundert Prozent qualifiziert. Und ich halte ihn auch für den absolut richtigen Mann, um das große Schiff Bayern München wieder auf Kurs zu bringen.
Der FC Bayern geht nach der Trennung von Hasan Salihamidzic ohne Sportvorstand in den Transfersommer. Wie groß ist das Handicap? Und wie schnell muss man diese Leerstelle füllen?
Ich bitte um Verständnis, wir werden uns erst einmal einen Überblick verschaffen. Erste Transfer-Planungen und Gespräche hatte es bereits gegeben. Wir werden uns mit Thomas Tuchel zusammensetzen, um alle auf einen Stand zu bringen.
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir wieder eine Hierarchie schaffen innerhalb der Mannschaft. Als wir 2020 die Champions League gewonnen haben, hatten wir ein unglaublich gut funktionierendes Team: Manuel Neuer im Tor, David Alaba in der Abwehr, Joshua Kimmich im Mittelfeld sowie vorne Thomas Müller und Robert Lewandowski, die Hierarchie hat gestimmt. Du brauchst Häuptlinge und Indianer. Man muss nicht immer hunderte Millionen Euro in den Transfermarkt blasen. Es muss vielmehr eine funktionelle Mannschaft sein.
Wie macht man das?
Als wir 2012 Mario Mandzukic vom VfL Wolfsburg gekauft haben, haben wir dafür keinen Beifall bekommen, sondern Erstaunen. Aber er war in seiner gesamten Zeit ein unglaublich wichtiger Spieler, weil er für die Mannschaft wie ein Berserker gearbeitet hat. Er hat glücklicherweise auch noch wichtige Tore geschossen wie beim Finalsieg 2013 gegen Borussia Dortmund in London.
Man muss nicht immer nur in das oberste Regal greifen. Wir hatten 2020 eine tolle Mannschaft. Aber hatten wir auch die beste? Wir haben deshalb die Champions League gewonnen, weil wir beim Finalturnier in Lissabon einen unglaublichen Teamgeist und Willen hatten. Beim 8:2 gegen Barcelona hat man gemerkt, hier entsteht gerade etwas Großes.
Stichwort Mandzukic. Er war Mittelstürmer. Ist ein echter Neuner, also ein neuer Lewandowski, die Lücke, die nach den Erkenntnissen dieser Saison unbedingt geschlossen werden muss?
Man darf nicht vergessen, wir hatten den Weltfußballer auf dieser Position! Acht Jahre war Robert bei uns. Uli Hoeneß, Matthias Sammer und ich haben damals enorm darum gekämpft, dass Robert von Dortmund zu uns kam. Er hat uns acht Jahre lang eine Torquote beschert, die uns befähigt hat, Titel in dieser Quantität und Qualität zu holen. Es war sein Wunsch, vor einem Jahr zu gehen. Und man hat vielleicht zu sehr darauf gehofft, dass man mit den anderen Angreifern vorne variabler spielen kann. Aber es fehlen halt 50 Wettbewerbstore, die erzielt werden müssen, um auf dem gleichen Niveau zu sein. Die Nummer neun wird sicherlich eine Position sein, auf der sich der FC Bayern umschauen wird.
Ihre Wertschätzung für Thomas Tuchel ist bekannt. Sie wollten ihn schon vor Jahren als Trainer nach München holen. Er hatte einen schwierigen und wenig erfolgreichen Start. Trauen Sie ihm zu, einen Bayern-Fußball zu schaffen, der an die Erfolge unter Hansi Flick anknüpft?
Ich glaube, man kann Trainer nicht miteinander vergleichen. Ich hatte in meiner Amtszeit das große Glück, viele tolle Trainer wie Louis van Gaal, Jupp Heynckes, Hansi Flick, Pep Guardiola oder auch Carlo Ancelotti erlebt zu haben.
Ich bin überzeugt, dass Thomas Tuchel ein sehr erfolgreicher Trainer beim FC Bayern wird. Er hat ohne Frage keinen leichten Start gehabt. Aber der ist ihm auch erschwert worden durch die Unruhe, die der Trainerwechsel von Julian Nagelsmann zu ihm mit sich gebracht hat. Das ist in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert worden. Und damit hat es auch Unruhe in der Mannschaft gegeben.
Was schlussfolgern Sie daraus?
Wir müssen dafür sorgen, dass in den Club schnell wieder Ruhe einkehrt. Ich war selbst Spieler, ich weiß, wie das ist. Unter Unruhe im Club leidet die Mannschaft. Die Mannschaft muss das Vertrauen in den Club haben – und der Club in die Mannschaft.