Enttäuscht, zufrieden und beeindruckt: In der Nacht nach seinem Debüt als Nationaltrainer der Türkei hatte Stefan Kuntz eine breite Palette an Emotionen zu verarbeiten.
Das 1:1 (1:1) am späten Freitagabend in Istanbul gegen auch ohne Stürmerstar Erling Haaland starke Norweger war für die Gastgeber zu wenig. Die Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar ist für die Türken in die Ferne gerückt. Aus eigener Kraft kann der WM-Dritte von 2002 die Teilnahme nicht mehr schaffen. «Wir sind ein kleines bisschen enttäuscht», gab Kuntz zu.
In der Gruppe G führen die Niederlande mit 16 Punkten vor Norwegen (14) und der Türkei (12). Nur der Gruppenerste qualifiziert sich direkt, der Zweite spielt in Playoffs um die WM-Teilnahme. Mit einem Heimsieg hätten die Türken die Skandinavier auf Platz drei verdrängt.
Die Pflanze der Hoffnung ist noch klein
«Wir hätten unseren türkischen Fans und allen anderen auch gerne einen Sieg geschenkt, um diese Pflanze der Hoffnung ein bisschen schneller wachsen zu lassen. Die ist jetzt noch ein bisschen klein», sagte der ehemalige deutsche U21-Bundestrainer. Jetzt müsse man alle folgenden Spiele gewinnen, betonte Kuntz, damit man bereitstehe, wenn die Tür zur Qualifikation noch einmal aufgehe. Am Montag in Riga steht seine Auswahl gegen Lettland vor der nächsten Herausforderung, denn die Balten schlugen sich am Freitag beim 0:1 gegen den haushohen Favoriten Niederlande wacker.
Kuntz hat seinen Vertrag als Türkei-Coach erst vor knapp drei Wochen unterschrieben. Die Erwartungen an den Erfolgstrainer, der die deutsche U21 zweimal zum EM-Titel geführt hatte, waren und sind riesig. Doch der 58-Jährige wirkte trotz des Drucks gelassen. Auch bei der bohrenden Nachfrage eines türkischen Journalisten, wie viel Verantwortung er denn beim Trainer für die Situation sehe. Er habe seinen Job in der kurzen Zeit so gut gemacht, wie es gehe, erwiderte Kuntz ruhig.
Mit dem Herzen dabei
Seine Spieler müssten Torchancen noch besser nutzen. Es mangele der Mannschaft auch an Überzeugung und Selbstvertrauen, erklärte Kuntz. Zufrieden sei er aber dennoch mit deren Auftritt, denn das Team habe «aus meiner Sicht alles gegeben». Genau das habe er von der Mannschaft verlangt, mit dem Herzen dabei zu sein.
Mit Herzblut dabei waren auch die Fans. Mit Fangesängen und Trommeln feuerten sie ihr Team im Stadion von Fenerbahce Istanbul unermüdlich an. Kuntz zeigte sich davon beeindruckt. Das sei «sehr aufregend» gewesen. Obwohl das Stadion wegen der Corona-Schutzmaßnahmen nur halb besetzt war, habe man das Gefühl gehabt, vor vollen Rängen zu spielen. «Das ist das, was ein Trainer möchte.»
«Werden unseren eigenen türkischen Stil finden»
Die Türkei startete in Istanbul hochmotiviert. Belohnt wurde das mit einer frühen Führung: Nach einem Fehler von Andreas Hanche-Olsen reagierte Cengiz Ünder schnell und bediente Kerem Aktürkoglu, der nur noch einschieben musste (6.). Dann gaben die Gastgeber das Spiel aber immer mehr aus der Hand. Auf der Gegenseite glich für die Norweger Kristian Thorstvedt (41.) nach einem Standard aus.
Sein Team sei gut gestartet, habe dann aber die Kontrolle über das Spiel verloren, analysierte Kuntz. Norwegen habe die Räume gut besetzt und das türkische Team vor Schwierigkeiten gestellt. Ein Kolumnist der Tageszeitung «Hürriyet» urteilte: «In den ersten 15 Minuten war mit der Unterstützung der Zuschauer Enthusiasmus und Druck nach vorne vorhanden, aber was haben wir danach im Namen des Fußballs gemacht? Nichts.»
Kuntz aber ließ sich nach dem Wechselbad der Gefühle seine Zuversicht nicht nehmen. Er befürchte, es könne noch etwas dauern, bis die Mannschaft zu sich finde, sagte Kuntz und versprach: «Wir werden unseren eigenen türkischen Stil finden.»