Irgendwann hatte Julian Nagelsmann genug von den kritischen Nachfragen zum Anspruchsdenken an den FC Bayern und der Mini-Krise nach zwei sieglosen Spielen.
Mit einem gequälten Lächeln rief der 34 Jahre junge Trainer nach seiner Antwort «auf die letzte Frage» nach dem Last-Minute-1:1 gegen RB Salzburg kurzerhand das Ende seiner Pressekonferenz aus und verschwand nach Mitternacht Richtung Mannschaftsbus. Die Stimmung steht gerade auf der Kippe in München.
Der charmante Plauderer Nagelsmann wird gerade etwas dünnhäutig, da «die Saison mehr in die heiße Phase geht», wie er noch in der Red Bull Arena feststellte. Der Hansi-Flick-Nachfolger fühlt und spürt den Druck, der sich bei Deutschlands Topclub in Windeseile aufbaut, wenn nach einem 2:4 in Bochum auch auf Europas großer Fußball-Bühne die Ziele in Gefahr geraten. «Ich werde jetzt nicht die Welt untergehen lassen, auch wenn es medial gewünscht ist», grantelte Nagelsmann.
Nagelsmann sauer auf Schiri-Gespann
Das Tor von Bayern-Retter Kingsley Coman verhinderte, dass sich ein echtes Sturmtief über dem Rekordmeister und Nagelsmann zusammenbraut. «Scheißegal, ob spät oder nicht spät», konterte Nagelsmann ungewohnt gereizt: «Wir waren in der zweiten Halbzeit sehr dominant und haben völlig verdient den Ausgleich gemacht. Da haben wir so gespielt, wie wir es können. So werden wir auch im Rückspiel auftreten.»
Nagelsmann hatte sich schon zuvor beim Streamingdienst DAZN über einen Schiri-Pfiff in der Nachspielzeit echauffiert, der den Gästen das mögliche Last-Last-Minute-Siegtor durch Leroy Sané gekostet habe. Es sei eine «unfassbar schlechte Entscheidung» gewesen, die Szene nach einer Aktion von Thomas Müller vorschnell zu unterbrechen, obwohl es doch genau dafür zur Überprüfung den Videobeweis gebe.
«Dann lasse ich die Aktion halt zu Ende laufen und gucke, ob Leroy den Ball ins nur noch mit Feldspielern besetzte Tor schießt. Dann wird das Tor kontrolliert, und wenn es ein Foul ist, dann pfeife ich ab», polterte Nagelsmann. Ein Münchner 2:1 wäre freilich zu viel Dusel gewesen gegen Österreichs aufsässigen Serienmeister.
Nagelsmann weiß um das Münchner Anspruchsdenken
Nagelsmann lernt die Bayern-Welt und das Anspruchsdenken an den Rekordchampion gerade in einer für ihn neuen Ausprägung kennen. «Wenn du in Bochum verlierst und in Salzburg unentschieden spielst, dann ist es nicht das, was man bei Bayern München medial wie auch fanmäßig und clubintern sehen will. Da gibt es jetzt ein bisschen Druck», sagte er – und fügte gereizt hinzu: «Ich habe jetzt zwar keinen IQ von 130, aber das wusste ich vorher schon.»
Maßgeblich aber ist, wie er als Chef die aktuelle Leistungsdelle schnell behebt. Am Sonntag geht es in der Liga gegen Schlusslicht Greuther Fürth. Die zehnte Meisterschaft am Stück ist (noch) nicht gefährdet. Aber für Titelansprüche in der Königsklasse war der Auftritt gegen die forschen RB-Bullen kein Bewerbungs-Video.
«Um in Europas Elite mithalten zu können, haben wir noch ein bissl was zu tun», räumte Nagelsmann ein. Während die Bayern gegen einen von 30 000 Zuschauern angetriebenen Außenseiter wanken, gewinnt Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool mal eben 2:0 bei Inter Mailand. Und Pep Guardiola setzt mit Manchester City ebenfalls auswärts ein eindrucksvolles 5:0-Statement gegen Sporting Lissabon.
Adeyemi: «Wir sind bereit, gierig, jung und spritzig»
Nationalspieler Karim Adeyemi, der die weiter einsturzgefährdete Bayern-Abwehr um Niklas Süle mehrfach taumeln ließ, sagte forsch mit Blick aufs Rückspiel am 8. März in seiner Heimatstadt München. «Wir sind bereit, gierig, jung und spritzig. Wir sind für Bayern ein Klotz am Bein.» Trotzdem bleiben die Bayern der Favorit in dem Duell.
Die kurze nächtliche Busfahrt aus Salzburg nach München traten die Bayern-Stars aber mit «gemischten Gefühlen» an, wie Thomas Müller bekannte. «Es war nicht das Wunschergebnis und das Wunschspiel von uns», sagte der Kapitän. Immerhin steigerten sich einige Akteure nach der Pause – allen voran Flügelstürmer Coman. Der Finalheld von Lissabon 2020 spitzelte einen von Müller verlängerten Chipball von Benjamin Pavard mit dem linken Fuß ins kurze Eck. «Es war ein wichtiges Tor», sagte der Franzose, der ein Oliver-Kahn-Motto bemühte: «Ich war kaputt, aber du musst immer weitermachen.»
Kimmich ermahnt die Mannschaft
Die Bayern kommen 2022 (noch?) nicht ins Rollen. Hinten stand erst einmal die Null. Selbstverständnis, Rhythmus, Stabilität fehlen. Leistungsträger wie Manuel Neuer, Leon Goretzka und Alphonso Davies werden schmerzlich vermisst. «Wir sind momentan nicht in einem Flow, dass es alleine geht. Das muss jeder begreifen», mahnte Chefkritiker Joshua Kimmich. Alles sei gerade «ein Stück weit zu wenig».
Auf die Wackelabwehr um den diesmal guten Torwart Sven Ulreich, der gemeinsam mit Pavard bei einem Salzburger Konter das drohende 0:2 verhindert hatte, wollte Nagelsmann «nicht auch noch draufhauen». Kurs halten im aktuellen Winter-Sturm lautet seine Trainer-Devise: «Es ist jetzt Halbzeit eines interessanten Duells. Ich habe keine Angst, sondern bin guter Dinge, dass wir weiterkommen.»