Auf einmal verlor selbst Julian Nagelsmann kurz den Durchblick. Die wenigen Sekunden, in denen zwölf Bayern-Profis beim 4:1 in Freiburg auf dem Rasen standen, irritierten den Münchner Coach und lieferten der Fußball-Republik das Debatten-Thema des Spieltags.
So etwas hatte die Bundesliga in 60 Jahren noch nicht gesehen. In der erstaunlichen Grauzone des Regelwerks blieb auch am Sonntag die entscheidende Frage: Legt der SC Freiburg Protest ein und bringt damit den Sieg der Bayern nachträglich in Gefahr?
Auch am Tag nach den kuriosen Szenen prüften die Verantwortlichen der Breisgauer die Lage. «Wir werden etwas kommunizieren, wenn es etwas zu kommunizieren gibt. Einen Zeitplan haben wir dafür nicht», sagte ein SC-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Torjäger Nils Petersen sprach beim TV-Sender Sky von einem «Tohuwabohu» bei den Freiburgern in der Frage eines Protests. «Da werden die Telefone heute heiß glühen hier im Stadion, und dann wird man halt abwägen, was das Richtige ist», sagte Petersen.
Noch am Vortag hatte Coach Christian Streich betont: «Wir müssen keinen Einspruch einlegen, denn wir unterliegen einem Regelwerk.» Gemäß der DFB-Regeln wirken Konsequenzen nicht sehr wahrscheinlich, zumal während der kurzen Überzahl nichts Entscheidendes passierte.
Der Deutsche Fußball-Bund zumindest wird nicht von sich aus eingreifen. «Der Kontrollausschuss hat keine rechtlichen Möglichkeiten, Einspruch gegen die Spielwertung einzulegen», sagte ein DFB-Sprecher.
Was war denn überhaupt passiert?
Als die Partie beim Stand von 3:1 entschieden war, beauftragte Nagelsmann Teammanagerin Kathleen Krüger, den vierten Offiziellen über zwei Auswechslungen zu informieren. Marcel Sabitzer und Niklas Süle betraten das Feld, jedoch verließ nur Corentin Tolisso den Rasen. Aus taktischen Gründen sollte Jamal Musiala auf den linken Flügel rücken. «Da war aber schon einer», sagte Nagelsmann. «Ich habe kurz überlegt, aber die Positionen nicht mehr zusammenbekommen. Das passiert mir eigentlich selten. Ich habe dann gesagt, dass sie den Ball ins Aus spielen sollen.»
In der Zwischenzeit hatte auch SC-Verteidiger Nico Schlotterbeck begonnen durchzuzählen. «Mir ist aufgefallen, dass kein Spieler rausging. Ich habe dann dem Schiedsrichter Bescheid gegeben», sagte der Neu-Nationalspieler. Referee Christian Dingert räumte ein, es sei «eine konfuse Situation» gewesen. Weil Kathleen Krüger für Coman dessen alte Rückennummer 29 statt der 11 gezeigt hatte, fühlte sich der Franzose beim Wechsel nicht angesprochen und blieb auf dem Feld. «Wir haben es aber schnell bemerkt und die Partie unterbrochen», sagte Dingert.
War das Handeln der Schiedsrichters regelgerecht?
DFB-Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich sieht bei Referee Dingert und seinem Team eine Teilschuld für das kurze Chaos. «Es wäre gut gewesen, wenn man vor der Spielfortsetzung noch einmal einen Check gemacht hätte. Das wäre von Schiedsrichter-Seite das Optimale gewesen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur und kündigte eine Aufarbeitung der Geschehnisse an. «Es hat etwas mit Konzentration und mit Übersicht zu tun. Darüber müssen wir mit den Schiedsrichtern intern nochmal sprechen», sagte Fröhlich.
Nach minutenlangen Diskussionen und einer Besprechung mit Videoschiedsrichter Felix Zwayer hatte Dingert das Spiel fortgesetzt. Eigentlich hätte es aber einen Freistoß für Freiburg statt eines Schiedsrichterballs geben müssen. Auch eine Gelbe Karte für Coman wäre laut Regelwerk möglich gewesen.
Zwayer rechnet indes nicht mit nachträglichen Konsequenzen. «Es ist aus meiner Sicht nicht mit der Situation zu vergleichen, wenn ein Spieler, der nicht im Spielbericht drin steht, am Spiel teilnimmt», sagte er im ZDF-«Sportstudio». Alle Spieler der Bayern auf dem Rasen seien grundsätzlich spielberechtigt gewesen. «Das ist in den Fußballregeln geregelt und nicht in den Statuten, wie damit umzugehen und zu verfahren ist», sagte Zwayer.
Welchen Einfluss hatte der Wechselfehler auf die Partie?
Die Bayern hatten schon vorher das Spiel auf ihre Seite gezogen. Nach einer ausgeglichenen ersten Halbzeit erzielte Leon Goretzka in seinem ersten Spiel nach fast viermonatiger Zwangspause den Führungstreffer (58.), den Joker Nils Petersen nur fünf Minuten später egalisierte. Der ebenfalls eingewechselte Serge Gnabry brachte die Bayern wieder in Front (73.) und Coman erhöhte auf 3:1 (82.). In der achtminütigen Nachspielzeit traf Sabitzer zum Endstand (90.+6).
Aus sportlicher Sicht war der Auftakt in den so richtungsweisenden April für die Münchner verheißungsvoll. Verfolger Borussia Dortmund hat durch das 1:4 gegen RB Leipzig schon neun Punkte Rückstand. Die Bayern sind der zehnten Meisterschaft in Serie ganz nah. Daran denkt Torhüter Manuel Neuer aber nicht. «Wichtig ist, dass wir im Flow bleiben, dass wir gegen eine Mannschaft, die daheim schon den einen oder anderen Gegner geschlagen hat, bestanden haben», sagte er.
Für das Hinspiel in der Champions League am Mittwoch beim FC Villarreal (21.00 Uhr/DAZN) scheinen die Bayern jedenfalls gerüstet – Wechselfehler hin oder her. «Das ist ein guter Gegner, aber natürlich wollen wir ins Halbfinale kommen. Das ist unser Ziel», machte Nagelsmann klar.