Als die Sonne längst hinter den Hügeln um Bergamo verschwunden war, gab Domenico Tedesco im Keller des fast leeren Gewiss-Stadions neue Ziele aus.
«Es ist noch nichts erreicht, aber wir streben nach mehr. Wer im Halbfinale steht, will ins Finale», sagte der Trainer von RB Leipzig. Dass seiner Mannschaft nicht nur das Endspiel der Europa League, sondern der erste Titel der Clubgeschichte zuzutrauen ist, haben die abgezockten 97 Minuten im erbarmungslos lauten Fußball-Tempel von Bergamo gezeigt.
Fast schon im Stil einer italienischen Spitzenmannschaft verteidigte Leipzig die Führung durch Christopher Nkunku aus der 18. Minute souverän, setzte dann kurz vor Schluss den entscheidenden Konter gegen das wütend anrennende Atalanta. Erneut war es Nkunku, dessen verwandelter Foulelfmeter zum 2:0 bereits sein 30. Saisontor in wettbewerbsübergreifend 43 Spielen war. Im Halbfinale geht es nun am 28. April gegen die Glasgow Rangers, eine Woche später steigt das Rückspiel in Schottland.
Europäische Spitzenmannschaft
In die beiden Spiele geht Leipzig nach Meinung von Bergamos Kapitän Remo Freuler als Favorit. «Es ist schön zu hören, weil Freuler uns nun in zwei Spielen erlebt hat», betonte Tedesco. «In erster Linie ist das ein Kompliment.» Und zwar eines, dass sich Leipzig in Tedescos Geburtsland redlich verdient hat. Eine Großchance von Bergamo ließ man nicht zu, ließ sich zudem nicht vom ohrenbetäubenden Lärm der Curva Nord einschüchtern.
Diese Reife macht den Vizemeister der Bundesliga nicht nur zu einem ernsthaften Kandidaten auf den Gewinn der Europa League. Es macht ihn schon jetzt zu einer europäischen Spitzenmannschaft. Schließlich stand die personell fast identische Mannschaft vor zwei Jahren bereits im Halbfinale der Champions League. In der Fünfjahreswertung der UEFA hat man zudem Borussia Dortmund überholt, ist hinter den Bayern die deutsche Nummer zwei. «Wir haben jetzt mehr Erfahrung, weil wir solche Spiele schon erlebt haben. Das ist genau die Entwicklung, die wir brauchen, um solche Spiele zu gewinnen», sagte Stürmer Yussuf Poulsen.
Noch in der Nacht zum Karfreitag ging es per Charter zurück nach Leipzig. Tedesco hat keine Zeit zu verlieren, schließlich steht schon am Sonntag (19.30 Uhr/DAZN) das enorm wichtige Spiel in Leverkusen an. Siegt RB bei Bayer, verdrängt man die Werkself von Platz drei und hat den nächsten großen Schritt zum Saisonziel Qualifikation für die Königsklasse abgehakt.
Die Mannschaft ist im Flow, hat 13 Spiele nacheinander nicht verloren. Sorge vor dem Abheben oder vor Übermut muss sich Tedesco nicht machen. «Die Zeit, uns Gedanken zu machen, haben wir nicht», sagte der 36-Jährige. «Es geht Schlag auf Schlag, und wir sind immer wieder neu fokussiert.» Auf den April-Marathon mit acht Spielen könnte die Mai-Party mit gleich zwei Titeln folgen. Schließlich ist RB auch im Pokal noch vertreten und empfängt im Halbfinale am kommenden Mittwoch Union Berlin.