Als das ganze angestaute Adrenalin verbraucht war und sich die Gemüter wieder etwas beruhigt hatten, konnten Thomas Tuchel und Antonio Conte über ihren zünftigen Zoff sogar lachen.
«Ja!», antworte der deutsche Coach des FC Chelsea bei der Pressekonferenz grinsend auf die Frage, ob er den handfesten Streit mit seinem Trainerkollegen von Tottenham Hotspur genossen habe: «Ich glaube, euch hat es auch gefallen. Es war nichts Schlimmes, Leute! Nichts Schlimmes.» Niemand sei beleidigt oder verletzt worden: «Wir hatten keinen Faustkampf oder so was. Für mich ist das keine große Sache.»
Alles halb so wild?
Und Conte? Der Italiener nahm dem Handgemenge an der Seitenlinie, das den spektakulären Schlusspunkt beim packenden 2:2 (1:0) im Londoner Derby der Premiere League am Sonntag gesetzt hatte, mit Humor die Schärfe. Noch in der Nacht postete er auf Instagram ein Video, in dem Tuchel wild jubelnd an ihm vorbeiläuft, und schrieb dazu: «Zum Glück habe ich dich nicht gesehen. Dir ein Bein zu stellen, wäre wohlverdient gewesen.» Die drei lachenden Smileys hinter dem Kommentar sollten wohl ausdrücken: Alles halb so wild!
«Beim nächsten Mal schütteln wir uns einfach nicht mehr die Hände», schlug Conte zudem vor: «Damit hätten wir das Problem gelöst». Auslöser des Tumults war das obligatorische Shake Hands nach dem Schlusspfiff gewesen. Tuchel ließ Conte zunächst nicht los, was diesem überhaupt nicht gefiel. Wie zwei Wildgewordene standen sich beide plötzlich Stirn an Stirn gegenüber, brüllten sich an und konnten nur mit Mühe voneinander getrennt werden. Als Konsequenz gab es für die Streithähne Rot, ihnen droht eine Sperre. Der englische Fußball-Verband FA klagte beide Trainer wegen «unangemessenen Verhaltens» nach dem Spielende an. Tuchel und Conte sollen bis zum 18. August eine Stellungnahme abgeben.
Tuchel: Rote Karten völlig überzogen
«Ich habe gedacht, dass man sich in die Augen schaut, wenn wir uns die Hände schütteln, aber er hatte eine andere Meinung», erklärte Tuchel sein Verhalten. Die Roten Karten für sich und Conte sah er als völlig überzogen an. Auch ansonsten sparte der frühere Bundesligatrainer nicht mit Kritik an Referee Anthony Taylor und dem Videoschiedsrichter (VAR).
«Seit wann darf man Spielern an den Haaren ziehen?», sagte der 48-Jährige bezogen auf eine Szene zwischen Spurs-Verteidiger Cristian Romero und Blues-Profi Marc Cucurella. Wenn der VAR hier nicht eingreife, «müssen wir künftig gar nichts mehr checken. Das ist lächerlich», wetterte der Chelsea-Coach. Es wäre «vielleicht besser», wenn Taylor kein Spiel der Blues mehr leite: «Ich kann versichern, dass die ganze Kabine so denkt.»
Wegen seiner Kritik am Schiedsrichtergespann will der englische Verband FA Medienberichten zufolge zusätzlich ermitteln. Eine Sperre wegen des Trainerstreits würde Spurs-Torjäger Harry Kane, der in der sechsten Minute der Nachspielzeit den 2:2-Ausgleich erzielt hatte, nicht verstehen. «Es ist ein emotionales Spiel, beide Teams wollten gewinnen», sagte der Kapitän der englischen Nationalmannschaft: «Aber manchmal passiert so etwas.»
Tuchel lebt Leidenschaft vor
Die Boulevard-Zeitung «Sun» nannte das Handgemenge der beiden Trainer eine «Londoner Schlägerei» und beschrieb die Ereignisse rund um das hitzige Stadtderby als «Battle of the Bridge II». Dies ist eine Anspielung auf das Duell im Jahr 2016, als Tottenhams Titelträume an der Stamford Bridge platzten.
Diesmal war Tuchel der Hauptdarsteller, beim Schwaben kochten nicht zum ersten Mal die Emotionen über. Tuchel gilt im Privatleben als zurückhaltender Asket, im Spiel aber lebt er seinem Team Hingabe und Leidenschaft vor. Vor allem bei vermeintlichen Fehlentscheidungen kann er mächtig aus der Haut fahren, immer wieder gibt es Streit mit Schiedsrichtern und gegnerischen Trainern. Auch mit Reportern legt sich Tuchel öfters an. So wie bei einer Pressekonferenz im März, als er die Journalisten nach einer Frage zum Krieg in der Ukraine im harschen Tonfall anblaffte: «Ihr müsst aufhören, mir diese Fragen zu stellen!»
Im vergangenen Januar hatte er vor einem Spiel gegen Tottenham mit Trainer Conte gesagt, man brauche bei so hitzigen Duellen «immer einen guten Mix aus Emotionen und kühlem Kopf». An seinen eigenen Rat hat er sich an diesem denkwürdigen Sonntag aber nicht gehalten.