Stolz und Genugtuung verbargen die Italiener natürlich nicht. Ihr Calcio vertreten von drei einheimischen Teams in den drei europäischen Pokalfinals und dann noch die große Chance von Inter Mailand auf die wichtigste Vereinstrophäe.
Der italienische Fußball hat sich famos in der Weltspitze zurückgemeldet. Die Krönung soll nun am Samstag (21.00 Uhr) im Endspiel der Champions League gelingen, wenn der Außenseiter aus Mailand dem Titelanwärter Manchester City die fest eingeplante Party vermiesen will. Vor «gar nichts» habe er im Fußball Angst, tönte Inter-Coach Simone Inzaghi.
«Für uns ein Traum, für die eine Obsession»
Dass ManCity als englischer Meister, FA-Cup-Sieger, Real-Madrid-Halbfinal-Demütiger (1:1, 4:0) und dementsprechend großer Favorit zum Showdown nach Istanbul reist, soll für die Nerazzurri sogar ein Vorteil sein. «Für uns ist das Finale ein Traum, für die eine Obsession», sagte Nationalspieler Federico Dimarco. Die Engländer von Star-Coach Pep Guardiola scheiterten zuletzt immer wieder im Ringen um den Henkelpott – und der Druck wird nicht kleiner.
Inter dagegen gefällt sich als Underdog und kann just auf jene Erfolgsfaktoren zählen, die italienische Mannschaften schon früher ganz nach oben gehievt hatten: Die Inzaghi-Truppe ist eingespielt, diszipliniert und defensiv stark. In der ganzen K.o.-Phase der Champions League kassierten die Mailänder in sechs Partien nur drei Gegentore – und diese alle im Viertelfinal-Rückspiel gegen Benfica Lissabon (3:3), als das Weiterkommen bereits praktisch sicher war.
Konzentration auf Defensive und Haaland
Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass Inter in jenen Partien keinem Stürmer vom Format eines Erling Haaland gegenüberstand. «So wird Haaland gestoppt», schrieb die «Gazzetta dello Sport» neben einer Fotomontage des in Fesseln gelegten City-Angreifers. Ex-Coach Arrigo Sacchi scherzte in der Zeitung, dass man ein Gewehr brauche, um Haaland aufzuhalten. Generell erwartet der Altmeister, dass sich Inter auf die Defensive konzentrieren und auf Konter lauern werde. Kommt es am Samstag also zur Wiederaufführung des klassischen – und international verhassten – Catenaccio?
«Italienischer Fußball setzt wieder auf Historie, ist geprägt von Liebe zum Spiel», erzählte Experte und Ex-Profi Matthias Sammer jüngst bei Amazon Prime Video zum Halbfinale seines früheren Vereins im Derby gegen AC Milan (2:0, 1:0). «In Italien wird aber auch immer über Fachkompetenz, immer über Taktik geredet.» Der Europameister von 1996 meinte: «Italienischer Fußball erlebt eine Renaissance in beeindruckender Schnelligkeit.»
Routiniers und junge Wilde
Inter ist in der besten Form seit Langem. Die Schwächephase erlebte das Team während der Saison, wodurch der Meistertitel schon früh in weite Ferne rückte. Dafür rehabilitierte sich die Truppe jüngst mit dem Gewinn des italienischen Pokals – und eben der Rückkehr ins Champions-League-Endspiel 13 Jahre nach dem 2:0-Triumph über den FC Bayern München.
«Wir wissen, dass wir der stärksten Mannschaft der Welt gegenüberstehen», räumte Inzaghi ein. Er aber hat ein Gewinner-Team aufgebaut mit Routiniers wie dem früheren Bundesliga-Stürmer Edin Dzeko oder Europameister Francesco Acerbi als tragenden Säulen neben jüngeren Wilden à la Dimarco, Auswahlkollege Nicolò Barella oder Weltmeister Lautaro Martinez. «In wichtigen Spielen haben meine Jungs es immer geschafft, Energien freizusetzen, von denen wir dachten, sie nicht zu haben», schilderte der Coach.
Als Underdog zu Erfolgen: Genau mit dieser Formel haben es Italien 2021 zum EM-Titel und die Vereine der Serie A in dieser Saison in Europa nach (fast ganz) oben geschafft.