Eine Bitte von Zimmer 207. Ob er einen riesigen Karton für sie entsorgen könne, möchte eine alte Frau von Dennis Grassow wissen, während er an einem Vormittag im Dezember wie gewohnt in kurzen Hosen durch die Gänge einer Seniorenwohnanlage im Süden Münchens läuft. «Natürlich», sagt der kernige Mann und lacht.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims in Taufkirchen wissen, wer Grassow heute ist. Er ist der Leiter der Haustechnik. Bei Wartungen, Wasserschäden, Reparaturen und Fragen zum Brandschutz wird der 52-Jährige gerufen.
Toni Polster taufte ihn «Eisenbieger»
Was die meisten Bewohnerinnen und Bewohner aber nicht wissen, ist, wer Grassow einmal war. Profifußballer. Verteidiger. Für ein halbes Jahr stand er 1997 sogar im Kader des großen FC Bayern München. Später beim 1. FC Köln taufte ihn Spaßstürmer Toni Polster auf den Namen «Eisenbieger». Mehr Verehrung für einen kompromisslosen Abwehrspieler von einem Österreicher geht fast gar nicht.
«Vergangenheit ist Vergangenheit», sagt Grassow, während er in seinem Büro vor dem Computer sitzt, auf dem die Aufträge für den Tag einlaufen, der Deutschen Presse-Agentur. «Was soll an meiner Geschichte besonders sein? Ich sehe das als einen anderen Abschnitt meines Lebens», sagt Grassow.
Villa, Luxusschlitten, Protzuhr?
Es gibt nicht wenige Menschen, die mit ehemaligen Bundesligafußballern die Vorstellung verbinden, sie müssten nach dem Karriereende ausgesorgt haben. Villa, Luxusschlitten, Protzuhr. So in dieser Art. Bei Grassow war das 2009 nach den Profistationen SpVgg Unterhaching, FC Bayern, 1. FC Köln, SV Darmstadt und Jahn Regensburg aber nicht der Fall.
«Ich hatte viele Gedanken nach meinem Karriereende», erzählt Grassow, der zwei erwachsene Kinder hat. «Ich war zwar Fußballprofi beim FC Bayern und auch 1. FC Köln, habe auch gut verdient, hatte aber noch nicht ausgesorgt. Man braucht ja auch eine Beschäftigung, das ist für den Kopf unheimlich wichtig.»
«Ich hatte Existenzängste»
Grassow versuchte sich als B-Jugend-Trainer, war 2010 Assistenztrainer bei der SpVgg Weiden, aber das alles war nichts für ihn. «Als Familienvater mit zwei Kindern hast du eine riesige Verantwortung, das Haus war noch nicht abbezahlt und ich hatte Existenzängste», erinnert sich der frühere Jugendspieler von 1860 München.
Ein Jahr war Grassow arbeitslos, dann kam er über einen befreundeten Kfz-Mechaniker in Kontakt mit der damaligen Leitung des Seniorenheims. Seine Ausbildung zum Sanitärinstallateur half ihm beim Vorstellungsgespräch. «Ich bin handwerklich begabt», sagt Grassow. «Es war in der ersten Zeit Stress, aber jetzt im zwölften Jahr habe ich sehr viel Routine. Ich bekomme keine Schweißperlen mehr bei einem Wasserschaden und reagiere entspannter. Ich wusste anfangs aber auch nicht, dass ich hier so eine Leidenschaft entwickle und soviel Spaß an meiner Arbeit habe. Ich bin glücklich.»
Immer Kader – nur einmal eingewechselt
An Grassows Vergangenheit als Bundesligagröße erinnert im Empfangsbereich ein Mannschaftsposter des FC Bayern aus der Saison 1997/98. Es war die Idee der Heimleitung. Darauf zu sehen ist Grassow mit 25 Jahren. Um ihn herum: Oliver Kahn, Lothar Matthäus, Mehmet Scholl, Giovane Elber. «Ich war immer im Kader, habe aber leider nicht gespielt», erzählt Grassow. Naja, bis auf einmal im DFB-Pokal.
Da wurde er beim 16:1 in der ersten Runde gegen die DJK Waldberg von Trainer Giovanni Trapattoni zur Halbzeit für Markus Babbel eingewechselt. Damit hatte auch der Abwehrspieler seinen kleinen Anteil am späteren DFB-Pokal-Erfolg.
Grassow hätte zu Borussia Dortmund gehen sollen
«Er gewinnt fast jedes Duell, und das mit fairen Mitteln», lobte Unterhachings früherer Trainer Lorenz-Günther Köstner den damals wahrscheinlich besten Verteidiger der 2. Bundesliga. Im Nachhinein hätte sich Grassow für Borussia Dortmund und nicht den FC Bayern entscheiden sollen. «Ich hätte aus meinem vertrauten Umfeld gehen sollen», meint er heute und nimmt einen Schluck Kaffee.
Es bleiben Grassow aber «Erlebnisse, die einem keiner nehmen kann». Nicht viele waren Profi beim FC Bayern, nicht viele waren auf Champions-League-Reisen mit den Münchnern nach Paris, Istanbul oder Göteborg. Erinnerungsstücke sind ihm aber nicht mehr geblieben, sein Koffer mit Trikots und Andenken von damals wurde geklaut.
Wer ein Problem hat, klopft an seine Tür
In der Seniorenwohnanlage gefällt es Grassow. «Dadurch dass ich in einer Mitarbeiterwohnung im Haus lebe, bin ich auch immer für die Bewohner da, wenn sie reden wollen. Manchmal klopfen sie auch an die Tür, wenn sie ein Problem haben», sagt er und lacht. Abschalten kann er in dem Haus von seinem Beruf nie komplett. Das will Grassow aber auch nicht. «Ich muss mich nicht aus dem Bett quälen, sondern gehe gerne zur Arbeit», sagt er. «Ich finde, das ist sehr wertvoll.»