Onkel Uli gönnt Sebastian Hoeneß als Trainer gewöhnlich nur Gutes, aber als Spielverderber für seinen FC Bayern mag er seinen Neffen nicht erleben. Schon gar nicht daheim in der Allianz Arena.
Insofern dürfte Uli Hoeneß am Sonntag (19.30 Uhr/DAZN) als Ehrenpräsident und Ober-Fan mit einem leicht mulmigen Gefühl auf der Tribüne dem für ihn brisanten Familienduell beiwohnen. Denn nach vielen Jahren ist das Kräftemessen zwischen Dauer-Meister FC Bayern und dem von Sebastian Hoeneß angeleiteten VfB Stuttgart ein Südschlager, der diesen Namen vollauf verdient.
«Mit dem Familienduell habe ich nichts zu tun», sagte Bayern-Coach Thomas Tuchel am Freitag. «Wir werden wie immer versuchen, so zu spielen, dass Uli glücklich ist. Wir wissen um die Bedeutung des Spiels. Es ist noch nicht das Saisonfinale. Aber nach der Niederlage in Frankfurt wollen wir natürlich eine Reaktion zeigen. Es ist eine große Herausforderung.»
Spitzenspiel
Zweiter gegen Dritter – mehr Spitzenspiel geht kaum. Und das liegt gerade auch am Trainer Hoeneß, der die Schwaben vom Beinahe-Absteiger zum neben Bayer Leverkusen derzeit spannendsten Team der Fußball-Bundesliga entwickelt hat. Der 41-jährige Hoeneß genießt das. «Auch wenn es eine Momentaufnahme ist, im Moment ist es ein Gipfelspiel. Es ist für uns natürlich eine schöne Konstellation», sagte der VfB-Coach am Freitag voller Vorfreude.
Tuchel sprach wertschätzend von einer «klaren und konstanten Überperformance» der Stuttgarter Mannschaft in dieser Saison. «Sie sind mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Da kann man Grenzen verschieben.» Es sei absolut beeindruckend, wie Stuttgart spiele: «Und das ist die Handschrift von Sebastian.»
Die Frage, ob er sich Hoeneß, der einst erfolgreich die Bayern-Amateure trainierte, eines Tages als seinen Nachfolger vorstellen könne, beantwortete Tuchel leicht pikiert: «Sie glauben jetzt nicht im Ernst, dass ich über meine eigene Nachfolge spreche. Im Moment bin ich hier – und wer weiß wie lange…» Auch der von den Bayern-Bossen genau beobachtete Sebastian Hoeneß mochte nichts davon wissen, dass er quasi in München vorspiele: «Nicht mal eine Sekunde habe ich darüber nachgedacht. Ich bin beim VfB Stuttgart!»
Hoeneß: «Fahren mit einem guten Gefühl nach München»
Mit Uli Hoeneß habe er vorab keinen Kontakt gehabt. «Ich habe sicher nicht das Ziel, meinem Onkel in irgendeiner Form irgendetwas zu verderben. Im Gegenteil: Ich wünsche ihm und den Bayern normalerweise nur das Beste. Aber das wird jetzt am Sonntag mal nicht so sein», sagte er. Sebastian Hoeneß möchte Kontrahent Tuchel und das dezimierte Bayern-Starensemble intensiv ärgern: «Wir fahren mit einem guten Gefühl nach München.»
Das können die Stuttgarter, wie sogar Manuel Neuer bestätigte. «Sie haben einfach das Momentum», meinte der Bayern-Kapitän: «Sie sind gut zusammengewachsen und haben auch einen Top-Trainer. Ihnen ist viel zuzutrauen.» Der vorletzte Spieltag vor Weihnachten ist ein wegweisender. Spitzenreiter Leverkusen könnte kurz vor dem Anpfiff in München mit einem Heimsieg gegen Eintracht Frankfurt den Vorsprung auf zunächst sieben Punkte ausbauen. Und gewinnt der VfB (31 Punkte), zöge er an den Bayern (32) vorbei.
Kane kränkelt
Bayern gegen Stuttgart ist ein Duell der Trainer, der Teams, der Torwarte und nicht zuletzt der überragenden Torjäger der Liga. Der ausgeliehene Alexander Nübel, der beim FC Bayern noch bis 2025 unter Vertrag steht, misst sich mit Nationaltorwart Neuer, gegen den er in München nie eine Chance sah. Noch mehr im Fokus steht aber das Wettschießen zwischen Bayerns Harry Kane und Stuttgarts Topstürmer Serhou Guirassy. 18:16 heißt es nach Toren.
Kane geht nach drei Pflichtspielen ohne eigenen Treffer nicht im Vollbesitz seiner Kräfte ins Topspiel. Am Freitag fehlte der 30 Jahre alte Engländer im Training. «Harry kränkelt ein bisschen», berichtete Tuchel. Seine Abwehrspieler warnte er zugleich vor Guirassy. Der 27-Jährige sei «sehr beweglich, sehr schnell, sehr dynamisch und eiskalt vorm Tor».
Die Bayern wollen Stuttgarts Momentum brechen. Der VfB-Höhenflug ist aber längst keine Momentaufnahme mehr. Zwei Heimsiege gelangen in der Liga und im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund. Und erst vor einer Woche dominierte Hoeneß‘ Mannschaft Spitzenreiter Leverkusen beim 1:1 vor der Pause. Sebastian Hoeneß wird seine Spieler heißmachen: «Das alles Entscheidende ist, wenn du in München spielst, musst du mutig sein und dir etwas zutrauen. Du musst bereit sein, zu leiden und alles reinzugeben in das Spiel.»