Mehr Spielabbrüche und immer heftigere Konflikte: Seit der coronabedingten Spielpause scheint es im Amateurfußball aggressiver zuzugehen.
Das zeigt eine Statistik des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der in der abgelaufenen Spielzeit eine deutliche Steigerung an nicht beendeten Partien registrierte. In der Saison 2021/22 hätten die Schiedsrichter 911 Amateurspiele abbrechen müssen, teilte der DFB mit. So viele wie noch nie in einer Saison.
«Offenkundig mehr hocheskalierte Konflikte»
Die über die vergangenen Jahre stabile Quote der Abbrüche stieg von 0,05 auf 0,075 Prozent. Umgerechnet bedeutet das: Im Schnitt wurde jedes 1339. Spiel in der vergangenen Saison abgebrochen. «Es gibt offenkundig mehr hocheskalierte Konflikte als vor Corona», sagte die Kriminologin Thaya Vester, die zu Gewaltvorkommnissen im Amateurfußball forscht, in einer dazu vom DFB einberufenen Medienrunde.
Bei mehr als einem Drittel aller Spielabbrüche seien Konflikte durch den Vorwurf von Parteilichkeit oder vermeintlicher Fehlentscheidungen der Schiedsrichter Auslöser. Dahinter folgen Abbrüche nach eskalierten Meinungsverschiedenheiten über die Frage, ob ein Zweikampf nur hart geführt wurde oder ob ein grobes Foul vorlag. Einflüsse von außen, etwa durch Zuschauer, seien dagegen weniger von Bedeutung, erklärte die Kriminologin
Spielabbruch muss «Ultima Ratio» sein
«Ein Spielabbruch muss immer das Ultima Ratio sein. Aber bei Angriffen auf Schiedsrichter wird abgebrochen, das steht außer Frage», stellte Vester klar. Etwa bei der Hälfte aller Spielabbrüche sei dies der Fall gewesen. Aber nicht immer sorge eine Schiedsrichterentscheidung für einen Abbruch. In 15 Prozent aller Fälle mussten Spiele abgebrochen werden, nachdem eine Mannschaft die Fortsetzung des Spiels verweigert hatte, sagte Vester.
In der zurückliegenden Saison wurden über Online-Spielberichtsbögen mehr als 1,2 Millionen Begegnungen im Amateurfußball erfasst und vom DFB ausgewertet. Von Schiedsrichtern gemeldet wurden 5582 Vorfälle, davon 3544 Gewalthandlungen, wie Tätlichkeiten oder Bedrohungen, und 2389 Diskriminierungen. Darunter fallen Äußerungen, die die Würde der betreffenden Person verletzen, menschenverachtende Gesten und diskriminierende Handlungen. Insgesamt notierten Unparteiische damit bei etwa 0,5 Prozent aller Spiele sogenannte Störungen – kaum eine Veränderung im Vergleich zu vergangenen Lagebildern des Amateurbereichs, die es beim DFB seit der Saison 2014/15 gibt.
Doch warum wird dann häufiger abgebrochen? «Der qualitative Anstieg von Gewalt zeigt, dass Auseinandersetzungen heftiger und hemmungsloser werden», sagte Gunter A. Pilz. Der Fan- und Gewaltforscher beobachtet gesamtgesellschaftlich aufgrund vielfältiger Krisen eine sinkende Frustrationstoleranz.
Der Fußball sei «nicht nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, sondern ein Brennglas für gesellschaftliche Probleme», betonte der Soziologe. «Wir wissen, dass auf dem Platz soziale Konflikte ausgetragen werden.» Dabei sei das Geschehen auf dem Fußballplatz oft zwar Auslöser von Gewalt, aber nicht immer Ursache.