Die nächtliche Kunde von der schlimmen Kreuzband-Verletzung von Lucas Hernandez sorgte bei Fußball-Weltmeister Frankreich wie beim FC Bayern München für Bestürzung.
Hatten sich bei den Franzosen am späten Abend im Stadion die Freude über den 4:1 WM-Auftaktsieg gegen Katar und die Hoffnung auf eine glimpfliche Diagnose des Abwehrspielers noch die Waage gehalten, war die Stimmung nach der Diagnose Kreuzbandriss spürbar gedrückt. «Ehrlich gesagt: So langsam macht das was mit einem», sagte Frankreichs Kapitän Hugo Lloris: «Immer, wenn du einen wichtigen Mitspieler verlierst, bleibt das im Kopf. Und es war ja nicht der Erste.»
Für die Franzosen, die schon ohne Karim Benzema oder N’Golo Kanté ins Turnier gehen mussten, ist es insgesamt schon der sechste Ausfall. Der FC Bayern beklagt rund um die WM nun schon vier Verletzungen. Nach dem Senegalesen Sadio Mané und DFB-Flügelstürmer Leroy Sané, bei dem man noch auf eine kürzere Ausfallzeit hoffen kann, verletzte sich am Mittwoch auch noch der Marokkaner Noussair Mazraoui.
Salihamidzic: «Wir sind natürlich alle geschockt»
Für den erst kürzlich von einem Muskelbündelriss genesenen Hernández dürfte derweil die Saison vorzeitig beendet sein. «Wir sind natürlich alle geschockt», sagte Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn bezeichnete die Verletzung des Münchner Rekordeinkaufs als «einen schweren Schlag für uns.» Hernández wird das Teamquartier der Equipe Tricolore am Donnerstag verlassen. Nach Angaben von Salihamidzic soll er nach der notwendigen Operation seine Reha in München absolvieren.
Besonders geschockt zeigten sich Benjamin Pavard und Davot Upamecano, sowohl im Verein als auch in der Nationalmannschaft Teamkollegen des Linksverteidigers. «Als ich die Tränen in Lucas‘ Gesicht sah, hat mich das zusätzlich motiviert», sagte Upamecano. Pavard erklärte: «Der Sieg ist auch für ihn. Er ist ein super Kollege, ein super Spieler. Das ist sehr traurig für ihn.»
Trainer Didier Deschamps beklagte derweil den Verlust eines «wichtigen Elements». Da er nun nicht mehr nachnominieren kann, hat er nur noch einen gelernten Linksverteidiger im Kader: Hernandez‘ Bruder Theo, der auch gegen Australien für ihn kam und mit einem üblen Stellungsfehler, aber auch einigen guten Flanken auffiel. Man müsse «beten, dass das gut geht», sagte der 98er-Weltmeister Lionel Charbonier als Experte des Senders RMC: «Und dabei denke ich nicht nur an Verletzungen, sondern auch an Karten und Sperren. Theo ist ein physischer Spieler, der keine Angst kennt.»
Innenverteidiger Upamecano erklärte schon mal, dass er zur Not auch auf der linken Abwehrseite aushelfen werde. «Als ich klein war, habe ich meinem Trainer gesagt, dass ich auf jeder Position spielen kann. Das hat sich nicht geändert», sagte er. So richtig überzeugt wäre der Bayern-Profi davon aber wohl nicht. «Vielleicht wäre es besser, auf der linken Seite Ousmane (Ousmane Dembele, d. Red.) oder Coman (Kingsley Coman) aufzustellen», sagte Upamecano. Beide Flügelspieler spielen offensiv.
Gewonnenes Spiel trotz Weltmeister-Fluch
Was den Franzosen Mut macht, ist die Reaktion, die sie am Dienstag zeigten. Tagelang wurde im Umfeld viel über den Weltmeister-Fluch gesprochen – die Vorgänger Italien, Spanien und Deutschland scheiterten beim Turnier darauf allesamt in der Vorrunde – und nach neun Minuten gegen Australien lag der Titelverteidiger plötzlich zurück und musste die Verletzung von Hernández verkraften. «Für diese junge Mannschaft waren alle Zutaten für einen Kollaps vorhanden», schrieb die «L’Equipe».
Doch so kam es nicht. Auch dank Doppel-Torschütze Oliver Giroud. Der Stürmer zog am Dienstag mit seinem 51. Treffer mit Frankreichs Rekordtorschütze Thierry Henry gleich. Der 36-Jährige wurde zudem zum zweitältesten WM-Schützen Frankreichs nach Zinedine Zidane und zum zweitältesten Doppelpacker der WM-Geschichte nach Kameruns Roger Milla. Auf die Frage, wie erleichtert er sei, weil er beim WM-Triumph vor vier Jahren ohne Tor geblieben war, sagte der Stürmer: «Diesmal waren die Vorlagen besser. Da konnte ich gar nicht danebenschießen.» Den Humor haben die Franzosen also zumindest noch nicht komplett verloren.