Am Morgen nach der wilden Titel-Party am Bosporus öffnete Ilkay Gündogan seine müden Augen – und fühlte sich nicht sofort wie ein Champions-League-Gewinner.
«Ich habe ein paar Momente gebraucht, um zu realisieren, dass das nicht doch nur ein Traum war», sagte der Kapitän von Manchester City der Deutschen Presse-Agentur. Doch die rund 200 Glückwunsch-Nachrichten auf seinem Handy und die süßen Erinnerungen vom hart erkämpften 1:0 (0:0)-Finalsieg in Istanbul gegen Außenseiter Inter Mailand holten den deutschen Nationalspieler schnell zurück in die rosige Realität.
«Selten bin ich so glücklich in meinem Leben aufgewacht», berichtete der 32-Jährige: «Die Nacht war der Wahnsinn – und natürlich ziemlich kurz.» Doch die Glücksgefühle über den ersten Sieg in seinem dritten Königsklassen-Finale vertrieben jede Müdigkeit. «Jeder, der meinen Weg verfolgt hat, weiß, wie lange ich diesem Titel hinterhergejagt habe.» Genau wie sein Trainer Pep Guardiola, der sogar zwölf Jahre auf seinen dritten Champions-League-Triumph warten musste. Citys Premierensieg im wichtigsten Clubwettbewerb nach vielen vergeblichen Anläufen sei «eine große Erleichterung für uns alle», sagte Guardiola.
Ausgiebige Feier
Entsprechend ausgiebig feierten die Cityzens den Triumph bis in die frühen Morgenstunden. Ausnahmestürmer Erling Haaland, der im Finale eher blass geblieben war, postete auf Instagram gegen 7.00 Uhr ein Bild von sich mit einer Sieger-Zigarre. Nach der Rückkehr am Sonntag dürfen sich die Triple-Helden etwas erholen, ehe sie am Montagabend bei der Trophäen-Parade in Manchester gemeinsam mit den Fans weiterfeiern.
Gündogan hatte seinen großen Auftritt schon auf dem Finalrasen im Atatürk-Olympiastadion. Ausgerechnet in der Heimat seiner Eltern und Großeltern durfte er den Henkelpokal im Konfettiregen und zur emotionalen Champions-League-Hymne in den Nachthimmel stemmen. «Vielleicht», meinte Gündogan, «war es Schicksal, dass wir hier gewinnen». Ein ähnliches Gefühl überkam auch Guardiola: «Dieses Finale stand in den Sternen.»
«City beendet seinen Albtraum»
Und diesmal vercoachte er es nicht, auf Experimente wie im verlorenen Endspiel vor zwei Jahren gegen den FC Chelsea verzichtete der Trainer. «City beendet seinen Albtraum, Guardiola sein besonderes Drama», schrieb die spanische Zeitung «AS».
In der Stunde des Triumphs zeigte Guardiola aber keine großen Emotionen. Genugtuung, dass er seine Kritiker verstummen ließ? Stolz, dass er als erster Trainer nun zwei verschiedene Clubs zum Titel-Triple aus Champions League, Meisterschaft und nationalen Pokal geführt hat? All das schien dem früheren Erfolgstrainer des FC Barcelona nicht so wichtig zu sein. Er sei «unglaublich zufrieden» und fühle sich «okay» – viel mehr aber angeblich nicht.
Guardiola war mit den Gedanken schon in der Zukunft. Das Trainergenie will mit den Cityzens eine Ära in der Königsklasse prägen. Es gebe Champions-League-Sieger, die schnell wieder von der Bildfläche verschwunden seien, «wer mich kennt, weiß, dass das nicht passiert», sagte Guardiola angriffslustig. Mit erkennbarer Ironie schickte er auch eine Kampfansage an Rekordsieger Real Madrid, der den wichtigsten Clubwettbewerb 14 Mal gewonnen hat. «Sei vorsichtig, Real Madrid, denn wir sind dir auf den Fersen.»
Die Erwartungshaltung der Besitzer aus Abu Dhabi, die seit dem Einstieg 2008 geschätzt etwa zwei Milliarden Euro für Transfers investiert haben, ist klar. City-Boss Khaldoon al-Mubarak habe ihm direkt nach dem Schlusspfiff gesagt, dass das Finale im nächsten Jahr in London stattfinde, berichtete Guardiola schmunzelnd: «Meine Antwort an ihn verrate ich lieber nicht, die war unpassend.» Die Eigner um Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan, der der Mannschaft in Istanbul einen seiner höchst seltenen Besuche abstattete, seien der Hauptgrund für Citys Erfolg, meinte Guardiola: «Ohne sie wären wir nicht hier.»
Gündogan-Zukunft offen
Ob Gündogan die geplante Ära mitprägen wird, ist weiter offen. Angesichts der jüngsten Finals im FA Cup und in der Champions League habe er die Thematik um seinen auslaufenden Vertrag «ein bisschen beiseite» geschoben, «aber jetzt muss ich mich damit auseinandersetzen». Sein deutscher Teamkollege Stefan Ortega, der sich als Ersatztorwart nun auch Champions-League-Sieger nennen darf, hofft auf Gündogans Verbleib in Manchester: «Dieser Junge ist unglaublich.»
Gündogan zeigte auch Respekt für die Mailänder, denen er auf dem Rasen Zuspruch gab. Seinen Nationalmannschaftskollegen Robin Gosens tröstete aber auch das nicht. Er fühle sich «total beschissen», gab der Inter-Profi zu: «Es ist gerade ein Kindheitstraum geplatzt.» Ein «Kack-Tor» von Rodrigo (68.), so Gosens, habe den Unterschied zwischen zwei gleichstarken Mannschaften ausgemacht. Oder wie die Zeitung «La Repubblica» es ausdrückte: Inter habe «den Löwen fast 70 Minuten lang im Käfig eingesperrt», sei aber in einem unachtsamen Moment «aufgefressen» worden.
Beinahe wäre Gosens noch zu einem Final-Helden für den italienischen Pokalsieger aufgestiegen. Doch seine Flanke zwölf Minuten nach seiner Einwechslung führte nicht mehr zum späten Ausgleich, weil Stürmer Romelu Lukaku den Ball per Kopf nicht im Tor unterbringen konnte (88.). Lukaku wurde nach dem Spiel in den sozialen Medien aufs Übelste rassistisch beleidigt.