Kapitän Lukas Hradecky sprach mit funkelnden Augen von einem «geilen Abenteuer». Ein halbes Jahr zuvor hatte Bayer Leverkusen sportlich am Boden gelegen, nun ist die Werkself unter Trainer Xabi Alonso die letzte Hoffnung der Bundesliga in Europa. Und Sportchef Simon Rolfes hofft auf dem Weg zum Europa-League-Titel auf Unterstützung aller Clubs und Fans.
«Es muss uns niemand danken. Aber es wäre schön, wenn uns alle unterstützen», sagte der Ex-Nationalspieler nach dem Einzug ins Halbfinale der Europa League: «Wir hoffen, dass national alle hinter uns stehen, damit wir auch die nächste Runde gewinnen.»
Die Art und Weise, wie Bayer beim 4:1 beim körperlich wie mental starken Außenseiter und Union-Berlin-Schreck Union Saint-Gilloise auftrat, gibt Hoffnung. Nach Eintracht Frankfurt im Vorjahr kann erneut ein deutscher Club in dem Wettbewerb triumphieren. Auf die Frage, wie real der Traum vom Titel sei, antwortete der seit Wochen überragende Abwehrchef Jonathan Tah knapp und selbstbewusst: «Realer als aktuell geht’s glaub‘ ich nicht.»
Dicker Brocken
Im Halbfinale wartet mit der AS Rom und Trainer José Mourinho ein dicker Brocken, doch spätestens jetzt träumen die Leverkusener vom Endspiel am 31. Mai in Budapest. «Das Ziel ist ganz klar, ins Finale zu kommen», stellte Rolfes klar. Und Hradecky, mit 33 einer der Erfahrenen und schon EM-Teilnehmer und DFB-Pokalsieger mit Frankfurt, antwortete auf die Frage, wo er den bisherigen Erfolg in seiner Karriere einstufen würde, lachend: «Frag mich in Budapest noch mal.»
Erst einmal wurde der erste Halbfinal-Einzug in Europa seit 21 Jahren auf der dreistündigen Busfahrt nach Hause ausgiebig gefeiert. «Xabi ist da ganz entspannt. Er war auch mal Spieler», sagte Hradecky auf die Frage nach dem erlaubten Bierkonsum: «Jeder muss wissen, wie viel er trinken kann. Aber fünf sind sicher erlaubt.»
Alonso, der das Team im Oktober als Vorletzter der Bundesliga übernahm und nun zwölf Pflichtspiele in Folge nicht verlor, sprach noch nicht über das Endspiel. «Jetzt haben wir noch eine Reise vor uns. Wohin sie uns führt, werden wir sehen», sagte er: «Aber diese Chance ist super.» Kurios: Alonso, als Spieler Weltmeister, zweimal Europameister und zweimal Champions-League-Sieger, hat die Europa League als Profi nicht nur nie gewonnen. Er hat auch nie nur ein einziges Spiel dort absolviert.
Doch er hat seinen Profis die Einstellung für diesen Wettbewerb eingepflanzt. Und fast alle Spieler besser gemacht. Wie Mitchell Bakker, der am Donnerstag der überragende Spieler war. «Ich weiß nicht, wie viele Lungen der Mann hat», sagte Hradecky: «Aber sicher drei oder vier.»
Gedanken an den Ex-Coach
Der Torhüter dachte auch an Alonsos Vorgänger Gerardo Seoane, denn «es tut mir immer noch leid, dass Gerardo gehen musste. Aber ich habe vorhin zu Jona gesagt: Spul mal sechs Monate zurück, wo wir da waren und welche Entwicklung die Mannschaft genommen hat.» Das sei auch das Verdienst von Alonso: «Es ist nicht nur der Trainer. Aber Xabi hat einen sehr guten Job gemacht.»
Im Halbfinale kommt es nun zum Duell mit Mourinho, einem seiner Lehrmeister in Alonsos Spielerzeit bei Real Madrid. Und auch für DFB-Sportdirektor Rudi Völler, der bis vergangenen Sommer Sportchef bei Bayer war und immer noch bei fast jedem Spiel auf der Tribüne sitzt, wird es ein besonderes Duell. Seit seinen fünf Jahren bei der Roma bezeichnet sich Völler als «halber Römer».
Die Belgier waren jedenfalls schwer beeindruckt von den Leverkusenern. «Das war allerhöchstes Niveau», schwärmte Kapitän Teddy Teuma. «Zu präzise, zu schnell und zu stark» sei der Bundesligist gewesen, schrieb «La Derniere Heure». Und die Zeitung «Le Soir» stellte fest: «Union verlässt Europa mit einer Ohrfeige.» So ist Bayers dritte Titel der Vereinsgeschichte nach dem UEFA-Cup-Triumph 1988 und dem DFB-Pokalsieg 1993 möglich.