Hansi Flick kam an der Seite von Youngster Jamal Musiala mit leichter Verspätung im beeindruckenden Warschauer Nationalstadion an – und hatte sich gleich mehrere Botschaften an die zweifelnde Fußball-Nation zurechtgelegt.
Mit fester Stimme stärkte der Bundestrainer am Vorabend der wichtigen Kraftprobe mit Polens Auswahl um Robert Lewandowski seine mächtig angeschlagene Nationalmannschaft, insbesondere den von Rekordnationalspieler Lothar Matthäus angezählten Joshua Kimmich. Den Fans versicherte Flick zwölf Monate vor der Heim-EM 2024: «Mir ist überhaupt nicht bange.»
Er und sein Team seien «überzeugt davon, dass wir im nächsten Jahr eine Mannschaft stehen haben, die top vorbereitet ist auf die EM», sagte Flick. Trotz aller Rückschläge wie erst wenige Tage zuvor beim 3:3 gegen die Ukraine. An diesem Freitag (20.45 Uhr/ARD) in Warschau werde er dafür «einige Änderungen» in seiner Startelf vornehmen. Musiala wird spielen, ebenso Emre Can. Der erst am Mittwoch angereiste Hoffnungsträger Ilkay Gündogan wird nach dessen Triple-Sieg mit Manchester City aber noch nicht auflaufen.
Prestigeträchtiger Vergleich
Den Münchner Kimmich hievte der Bundestrainer in Mentalitätsfragen auf eine Ebene mit den Basketball-Superstars Michael Jordan und Kobe Bryant. Die Matthäus-Kritik («Die Nebenleute wurden neben ihm zuletzt konstant schlechter») könne er «nullkommanull» verstehen. «Er hat die Mentalität, einfach immer gewinnen zu wollen, dafür tut er alles, und er hat auch das Recht, dass er eine schlechte Phase hat», sagte Flick. Wie Allesgewinner Jordan und der 2020 gestorbene Bryant gehe Kimmich voran, sei ein Vorbild.
Entsprechend appellierte Flick an die anwesenden Medienvertreter: «Ihr könnt gerne mich kritisieren, aber bitte lasst die Spieler draußen. Jeder ist bereit, alles zu geben am Ende einer langen Saison.» Musiala berichtete von einer guten Atmosphäre im Team. Alles sei «tipptopp», und wenn die DFB-Auswahl jetzt auch noch gewinne, «dann wird alles noch besser sein», sagte der 20-Jährige.
Gündogan soll erst in seiner Heimatstadt Gelsenkirchen am kommenden Dienstag gegen Kolumbien zum Einsatz kommen. Am Vormittag beim Abschlusstraining war Flicks Lächeln im Gespräch mit dem Mittelfeldspieler deutlich zu sehen gewesen. Auch wenn der Champions-League-Sieger zunächst nicht spielt: Ein positives Zeichen ist das Mitwirken des derzeit einzigen Weltklasse-Spielers in jedem Fall.
Zwei Finalisten für Flick
«Ich hoffe, dass ich nach den Erfolgen etwas Schwung reinbringen kann, damit wir die Saison auch bei der Nationalmannschaft gut abschließen können», sagte Gündogan laut «Bild»-Zeitung bei seiner Ankunft beim Team. Als Kapitän der Cityzens hatte er am vergangenen Samstag den silbernen Henkelpott in den Istanbuler Nachthimmel gehievt – ein äußerst seltenes Jubelbild für einen deutschen Nationalspieler.
Schon mit der Mannschaft trainierte am Donnerstag Außenspieler Robin Gosens, der mit Inter Mailand das Endspiel der Königsklasse verloren hatte. Der 28-Jährige könnte links die Alternative zum enttäuschenden Leipziger David Raum sein. Nicht mit im Flieger saßen Raums Pokalsieger-Clubkollegen Timo Werner wegen seiner Sprunggelenksprobleme und Lukas Klostermann, der im Abschlusstraining eine Muskelverletzung im Oberschenkel erlitt.
Es gehe darum, Ergebnisse zu liefern, sagte der Mönchengladbacher Jonas Hofmann. In der Theorie scheint der Fußball wieder ganz einfach: Mit zwei Siegen dank überzeugender Auftritte kann sich Flick Luft verschaffen, ehe die EM-Einstimmung im September gegen WM-Schreck Japan und EM-Favorit Frankreich weitergeht. Noch ein Fehlerfestival wie gegen die Ukraine – und Flicks zweite Chance nach dem WM-Debakel in Katar geriete mehr denn je infrage.
EM-Druck ist spürbar
Dass sich am Mittwoch sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Gedankenspielen eines Bundestrainerwechsels äußerte (er ist dagegen), verdeutlichte die auch für den Deutschen Fußball-Bund komplizierte Gesamtgemengelage. Das Heim-Turnier muss für den auch finanziell kämpfenden Verband zwingend funktionieren, und dafür braucht es eine intakte Nationalmannschaft. «Wir wissen ja, dass wir die Spieler haben, die die Menschen begeistern können», sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler, der sich nach dem Remis am Montag schützend vor den Bundestrainer gestellt hatte – stellen musste.
Flick versicherte am Abend, die Probleme seiner Auswahl hätten nichts mit dem System und dem Experiment mit der Dreierkette in der Abwehr zu tun. «Es ist nicht unser Anspruch», sagte Flick über die drei Gegentore in Bremen. «Es hat definitiv nichts damit zu tun, in welcher Formation wir spielen.» Er wolle «die Basics» sehen, «wie gehe ich in den Zweikampf? Wie sichere ich ab?»