Auf diese Worte von Manuel Neuer hatte Hansi Flick gehofft und gewartet. Nach dem bitteren WM-Aus von Torgarant Timo Werner kamen die positiven Personal-Signale aus München für den Bundestrainer gerade rechtzeitig.
Nationaltorhüter Neuer war gut eine Woche vor dem WM-Abflug nach den lange plagenden Schulterschmerzen nicht nur bereit für die Reise zum Bundesliga-Spiel bei Hertha BSC, sondern will im Olympiastadion auch auflaufen. Auch Offensivspieler Leroy Sané gehört immerhin wieder zum Bayern-Kader.
«Mir geht es gut. Ich habe das erste Teamtraining gemacht. Es war alles in Ordnung», berichtete der 36 Jahre alte Neuer nach einem finalen Härtetest in einem Bayern-Video. Der Kapitän hatte sieben Pflichtspiele wegen einer Schulterverletzung verpasst. Neuer äußerte sich auch gleich zuversichtlich für das WM-Turnier in Katar. «Für die Weltmeisterschaft sieht es natürlich gut aus.»
Bayern-Trainer Julian Nagelsmann hatte ein Neuer-Comeback angekündigt, «wenn das Abschlusstraining gut läuft. Wir müssen abwarten, wie die Schulter reagiert, aber der Wochenverlauf war gut.» Die vierte WM-Teilnahme mit der Nationalelf scheint für Deutschlands Rekordtorwart zunächst nicht mehr in Gefahr. Der DFB-Kapitän geht beim Comeback wohl ein kalkulierbares Risiko ein.
Das durch die schwere Knöchelverletzung von RB-Stürmer Werner verschärfte Offensivproblem ist für Flick durch Neuers Tor-Rückkehr natürlich nicht gelöst. Es bleibt drängender denn je. «Diese Nachricht ist ganz bitter», hatte der 57-jährige Flick nach der Schock-Diagnose für seinen als Mittelstürmer fest eingeplanten Top-Torschützen Werner gesagt.
«Für die WM ist es ein Scheißzeitpunkt»
Die nun reale Drohkulisse hatte DFB-Direktor Oliver Bierhoff schon vor dem Werner-Aus schonungslos benannt. «Da hat man immer Angst davor, dass wichtige Spieler kurzfristig ausfallen und keine Zeit mehr haben, für das Turnier fit zu werden.» Auch Nagelsmann bedauerte den Ausfall seines Leipziger Ex-Spielers. «Für die WM ist es ein Scheißzeitpunkt. Er hätte dem deutschen Spiel mit seinem Speed und seiner Torgefahr gutgetan.» RB-Coach Marco Rose meinte, die DFB-Auswahl verliere «Tempo» und «Tore» und zudem einen Spieler mit «Humor». «Das ist bei so einem Turnier über mehrere Wochen nicht unwichtig.»
Selbstmitleid nützt Flick nichts. Er hat nur noch wenige Tage Zeit, einen Ersatzmann für Werner zu benennen. Wenn der Bundestrainer am kommenden Donnerstag (12.00 Uhr) im Frankfurter DFB-Campus seine Namensliste mit 26 Spielern für das WM-Turnier verkündet, wird zumindest die Stoßrichtung für Katar klar sein. 13 Tage später folgt schon das Auftaktspiel der DFB-Auswahl gegen Japan.
Die deutsche Sehnsucht nach dem zentralen Neuner
Die Debatten um die richtige Ausrichtung in der Offensive läuft ohnehin schon. Soll Flick nun doch auf einen klassischen Mittelstürmer wie den international völlig unerfahrenen Bremer Niclas Füllkrug setzen? Die typisch deutsche Sehnsucht nach dem zentralen Neuner, der mit Wucht das Torglück erzwingen kann, ist ungebrochen. Entsprechend laut hallen die Rufe nach Füllkrugs erster DFB-Nominierung durch die Fußball-Republik.
Doch könnte der 29-Jährige auch auf höchstem WM-Niveau liefern? Definitiv erhöht haben sich die WM-Chancen für den trickreichen BVB-Youngster Youssoufa Moukoko (17). Möglicherweise bekommt jetzt Mario Götze (30) als WM-Held von 2014 nach seiner Renaissance bei Eintracht Frankfurt eine Comeback-Chance.
Flick ist aber keiner, der schnell alles über Bord wirft. Schon gar nicht beim lange geplanten Jahreshöhepunkt mit dem ambitionierten Ziel fünfter Weltmeister-Stern. Auch in den bisher wenigen Spielen ohne Werner wurde die Grundstatik von ihm nicht verändert. Viel spricht also dafür, dass am taktischen System ohne Sturm-Brecher festgehalten und mit Bordmitteln um die bislang von Flick eher nicht ganz vorne verorteten Thomas Müller, Serge Gnabry oder Kai Havertz die Werner-Lücke geschlossen werden könnte.
Zu viele offene Fragezeichen
Ein Platz im Kader ist aber frei. Doch wer überzeugt wirklich auf der Mittelstürmer-Position? Die Ironie: Auch Werner war – trotz der acht Tore in den 15 Länderspielen der noch kurzen Flick-Ära – eigentlich eine Notlösung für die Problemposition und musste sich immer wieder laute Fan-Kritik gefallen lassen.
Flicks WM-Problem ist auch, dass neben dem fixen Werner-Ausfall zu viele offensive Fragezeichen existieren. Dortmunds Kapitän Marco Reus laboriert weiter an den Spätfolgen eines Bänderrisses. Gladbachs Jonas Hofmann hat nach seiner Schulterblessur noch nicht wieder gespielt. Sané fiel bei den Bayern zuletzt auch wegen einer Muskelverletzung aus. Wie viele Spieler mit gerade erst oder nur halbwegs auskurierten Wehwehchen kann und will sich Flick im Aufgebot leisten?
Kernfrage ist auch: Wird Müller wirklich rechtzeitig fit? Nach Berlin reist der 33 Jahre alte Bayern-Routinier nicht mit. Müllers Wert und Expertise sind unbestritten. Kein aktiver WM-Akteur hat mehr Turniertore erzielt als der Münchner, der 2010 und 2014 auf insgesamt zehn Tore kam. Andere Superstars der Branche wie Cristiano Ronaldo (Portugal), Lionel Messi (Argentinien) und Harry Kane (England) kommen auf je sechs WM-Tore. «Thomas wird hoffentlich unter der Woche wieder einsteigen können in den Spielbetrieb», sagte Nagelsmann am Freitag. Flick wird also weiter auf gute Nachrichten aus München warten.