Das Training beginnt für Florian Kohfeldt mit Diskussionen. Ein paar Fans fangen den 41-Jährigen hinter dem Stadion ab, um mit ihm über die komplizierte sportliche Situation zu sprechen.
Niemand hindert sie daran. Ordner gibt es zumindest an diesem nasskalten Nachmittag im Dezember bei der KAS Eupen nicht. Und Kohfeldt nimmt sich die Zeit. «Diese Nähe ist etwas, was ich auch versucht habe, in der Bundesliga zu leben, weil ich das wichtig finde», sagt er.
In der deutschen Fußball-Eliteklasse erlebte Kohfeldt einen steilen Aufstieg bei Werder Bremen. 2018 wurde er vom DFB als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Er galt als nächstes großes Fußballlehrertalent. «Ich bin mir sicher, dass seine Trainerkarriere in der Bundesliga gerade erst begonnen hat», sagte der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel seinerzeit. Es folgten jedoch eine Krise, die Trennung von Werder und ein eher kurzes Engagement beim VfL Wolfsburg. Nun hat Kohfeldt in Belgien einen Neustart gewagt.
In Eupen ist alles mindestens zwei Nummern kleiner als bei seinen vorherigen Stationen. Rund 20.000 Menschen leben dort. Die Heimspiele besuchen im Schnitt etwa 3500 Zuschauer. In Bremen sind es mehr als 40.000.
Bewusster Schritt ins Ausland
Der große Zirkus Bundesliga ist geografisch in der deutschsprachigen Grenzregion zwar nicht weit weg. Die Unterschiede zwischen Kohfeldts altem und neuem Arbeitsumfeld sind dennoch enorm – nicht nur, was die Zahlen angeht. «Die ganze Kultur im belgischen Fußball ist anders als in Deutschland. Es ist im Grunde deutlich unaufgeregter in vielen Momenten», sagt Kohfeldt.
Den Schritt ins Ausland hat er nach eigenen Angaben im vergangenen Sommer bewusst gewählt. «Viele Kollegen haben immer wieder davon geschwärmt und gesagt, dass ein Trainer im Ausland einfach eine andere Rolle hat als ein Trainer in Deutschland. Diese Lebenserfahrung wollte ich auch machen», sagt der gebürtige Siegener.
Bei der Königlichen Allgemeinen Sportvereinigung (KAS) ist Kohfeldt nicht nur als Trainer im eigentlichen Sinne gefragt. Er kümmert sich beispielsweise auch um Reise- und Essensplanung. In die Kadergestaltung war er im Sommer «so weit eingebunden, wie vorher noch nirgendwo». Kohfeldt betont: «Mir ging es nicht darum, einen Verein zu finden, wo ich sofort wieder im größtmöglichen Rampenlicht stehen kann. Sondern es ging mir darum: Wo kann ich von dem, was ich mir vorher überlegt habe, inhaltlich am meisten abdecken?»
Wie es sich anfühlt, im Rampenlicht zu stehen, erfuhr Kohfeldt bei seiner ersten Station als Profitrainer ungewöhnlich schnell. Werder übernahm er im Herbst 2017 als sieglosen Tabellenvorletzten. Kohfeldt führte die Bremer zum souveränen Klassenerhalt und schaffte in der folgenden Saison fast die Qualifikation für den Europapokal. Sein für viele überraschender Erfolg, seine offene Art und sein Umgang mit Talenten kam an und eröffnete Möglichkeiten. Um ihn entwickelte sich ein regelrechter Hype mit den dazugehörigen Gerüchten. Kohfeldt galt unter anderem als Trainerkandidat bei Borussia Dortmund.
Wäre er damals zu einem Spitzenclub gegangen, hätte sich seine Karriere womöglich komplett anders entwickelt. Vielleicht wäre Kohfeldt jetzt nicht in der belgischen Provinz, sondern bei einem Champions-League-Club. Er blieb jedoch in Bremen und rutschte dort – auch coronabedingt – ins sportliche Tief. Hat er Werder also zu lange die Treue gehalten?
«Vielleicht hätte ich mit einem anderen Charakterzug schneller auf einen anderen Zug springen können, der mich vielleicht dann auch, sagen wir mal, in ein Regal katapultiert hätte, wo ich vielleicht nicht so schnell wieder runterfallen kann», sagt Kohfeldt. «Aber meine Devise war und ist immer: Ich habe eine Zusage gegeben und die Zusage halte ich ein. Ich bin loyal.» Zu seinen damaligen Entscheidungen sagt er: «Ich empfinde das nicht als verpasste Chance. Ich empfinde das immer noch als richtig, so als Trainer zu handeln.»
Unbefristeter Vertrag
Von seiner Leidenschaft für den Trainerjob hat Kohfeldt auch im nun deutlich unspektakuläreren Umfeld nichts verloren. Lautstark treibt er seine Spieler im Training an, wählt auch mal sehr deutliche Worte. Immer wieder unterbricht er Übungen, gibt Anweisungen auf Englisch, Deutsch und Französisch. Akribisch bereitet Kohfeldt sein Team auf die Gegner vor – und steckt dennoch in der Krise.
Nach starkem Start mit zehn Punkten aus den ersten fünf Spielen ist die KAS, wo Kohfeldt einen unbefristeten Vertrag unterschrieben hat, in der Tabelle abgestürzt. Seit dem 28. Oktober wartet der Club mit dem laut Kohfeldt zweitniedrigsten Etat der ersten belgischen Liga auf einen Sieg. Ins neue Jahr startet Eupen als Tabellenvorletzter. Eine Empfehlung für ein erneutes Engagement in der Bundesliga sieht anders aus. Aber ist eine nächste Trainerstation in Deutschland überhaupt Kohfeldts Ziel?
«Dafür ist die Wahrscheinlichkeit wohl gerade am größten, dass ich wieder in Deutschland arbeiten möchte», sagt er. Das müsse aber nicht so kommen. Er sei da keinesfalls festgelegt. «Letztendlich geht es darum, was ich reizvoll finde. Das kann ein Trainerjob in Deutschland sein. Das kann ein Trainerjob im Ausland sein. Es kann aber auch sein, dass es reizvoll ist, hier fünf Jahre in Belgien zu bleiben.»