Die Entscheidung um die Vormachtstellung im Hamburger Fußball ist vertagt. Der Hamburger SV als historische Nummer eins war zwischenzeitlich im Niedergang begriffen und drohte vom Stadtteilverein FC St. Pauli vom Thron gejagt zu werden.
Das 2:1 (0:1) im Volksparkstadion hat diese Entwicklung zwar noch nicht umgekehrt, wohl aber gestoppt. Der HSV ist bis auf drei Punkte dran am FC St. Pauli. Noch wichtiger: Im Aufstiegsrennen zur Bundesliga hat die Truppe von Trainer Tim Walter wieder gute Karten.
«Wir haben ’ne Kiste Bier in der Kabine», beschrieb Walter den bescheidenen Party-Rahmen, um dann mitzuteilen: «Meine Jungs trinken ja nicht so viel.» Also nahm er seinen Trainerstab in die Pflicht: «Da trinken wir eins mehr.» Jubel erfüllte aber auch ohne Alkohol die HSV-Kabine.
St.-Pauli-Coach gratuliert dem Stadtrivalen
Da wollte sich St.-Pauli-Trainer Timo Schultz nicht lumpen lassen. «Nachdem wir in den letzten Spielen häufiger erfolgreich sein und die Stadtmeisterschaft für uns in Anspruch nehmen durften, müssen wir heute auch mal dem Gegner gratulieren zum verdienten Sieg», sagte er. Sein Team selbst ist nun seit vier Zweitliga-Spielen ohne Erfolg.
Fünf Derbys (vier Niederlagen) war dem HSV zuvor kein Erfolg gegen den Stadtrivalen gelungen. Gedemütigt vom Nachbarclub und beschimpft von den eigenen Fans bekamen die Profis Magie und Brisanz der Stadtduelle zu spüren. Da mutet der lang ersehnte Sieg wie eine Erlösung an.
Vor allem für die Fans, die zwar nur in handverlesener Abordnung von 2000 Zuschauern ins Volksparkstadion durften, für die aber ein Sieg im Stadtderby wichtiger als der Aufstieg ist. Was auch für die gewaltige Diskrepanz in der Interessenslage zwischen Fangemeinde und Führungsetage eines Fußball-Wirtschaftsunternehmens steht.
HSV-Trainer an der Seitenlinie unter Strom
Bei aller Freude im Umfeld gab sich Walter erstaunlich gelassen, ganz im Gegensatz zu seinem Starkstrom-Coaching am Spielfeldrand. Für eine neuerliche Verbalattacke an der Linie erhielt er bereits seine zweite Gelbe Karte in dieser Saison. Nach der vierten wird er für ein Spiel gesperrt. «Vielleicht hat der Schiedsrichter recht, wenn ich lautstark bin. Aber ich denke, dass ich immer respektvoll bin, respektvoll allen gegenüber», sagte Walter.
Eine halbe Stunde nach Spielende war der Puls des 46-Jährigen jedoch wieder im grünen Bereich. «Mehr als drei Punkte gibt es heute auch nicht», meinte er und stutzte den Derbysieg auf Normalmaß. «Wir haben nur ein Spiel gewonnen. Wir freuen uns über drei Punkte. Aber wir wissen auch, wo wir herkommen und woran wir weiter arbeiten müssen.»
Rundum zufrieden konnte Walter nämlich nicht sein. In der ersten halben Stunde hätte seine Elf deutlich in Führung gehen müssen. Aber wie so häufig herrschte vor des Gegners Kasten Fahrlässigkeit. Wie es geht, demonstrierte der FC St. Pauli: eine Chance, ein Tor – natürlich durch Torjäger Guido Burgstaller. Erst Kapitän Sebastian Schonlau und Linksaußen Bakery Jatta drehten nach der Pause die Partie.
«Wir haben eine brutale Bereitschaft», versicherte Walter und nannte als Basistugenden: «Mutig im Ballbesitz und extrem aggressiv gegen den Ball.» Diese Offensivpower, diese erzwungene Dominanz ließ den Rivalen nicht wie gewohnt in seine Abläufe kommen. «Man hat den Jungs angemerkt, dass sie bei sich bleiben», beschrieb Walter das Besinnen auf die eigenen Fähigkeiten, den eigenen Plan, völlig unabhängig vom Gegner und dessen Qualitäten. Weil es ihm so wichtig ist, fasste er die Marschroute für die nächsten Monate geradezu beschwörend zusammen: «Das Entscheidende ist, dass wir bei uns bleiben.»