Foulelfmeter, Handspiel oder Rot? Entscheidungen eines Schiedsrichters werden von Zehntausenden im Stadion und Millionen vor den Fernsehschirmen heiß diskutiert. Eine Basis für gute Leistungen legen die Unparteiischen dagegen abseits der großen Öffentlichkeit – in den kleinen Momenten, die man nicht oder nur am Rande wahrnimmt.
«Ein Schiedsrichter gewinnt die Spiele mit den Dingen, die man nicht sieht. Der erste Moment im Kabinengang ist ganz wichtig, wie man dasteht, wie man den Spielern gegenübertritt», sagt der frühere Weltschiedsrichter Felix Brych, für den ein Motto besonders wichtig ist. «Ich muss die Spieler für mich gewinnen. Das war ein Schlüssel für meinen Erfolg.»
Brych zählt seit vielen Jahren zu den besten deutschen Schiedsrichtern, war bei der WM 2014 und 2018 sowie bei der EM 2016 und 2021 im Einsatz. International pfeift er seit zwei Jahren nicht mehr in seine Fox 40; Bundesliga-Spiele will der 47-Jährige aber auch in der neuen Saison noch leiten. Über sein Leben als Schiedsrichter schreibt der promovierte Jurist in seinem Buch «Aus kurzer Distanz», das an diesem Donnerstag erscheint.
Schiedsrichter benötigen ein dickes Fell
Stars und Trainer stehen im Mega-Business Profi-Fußball stets im Rampenlicht. Zwar hat sich auch die Bezahlung der Schiedsrichter verbessert, aber populärer und reicher werden immer die Spieler sein. Ein Schiedsrichter – das ist in der Bewertung sicher ungerecht – rückt eigentlich nur in den Fokus, wenn er entscheidende Fehler macht. «Anfeindungen sind nicht einfach. Dieses dicke Fell aufzubauen, war auch eine Aufgabe. Aber das führt auch dazu, dass man mit einem dicken Fell durchs Privatleben geht, weil man das nicht einfach so wieder ablegen kann», sagt Brych im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Bald ist es vorbei, dann kann ich das Fell vielleicht endgültig ablegen.»
Von einem Schiedsrichter werde immer Perfektion verlangt, hebt der Münchner hervor. Eine wesentliche Grundlage ist für den Mann, der über 330 Bundesliga-Spiele und 69 Königsklassen-Partien geleitet hat, die intensive Vorbereitung. Neben körperlicher Fitness für zehn, elf Kilometer pro Spiel und das Woche für Woche verbrachte er unzählige Stunden mit der Analyse: Vorangegangene Spiele, besondere Rivalitäten, Vorgeschichten, Verletzungen, Torflauten, ja sogar private Probleme der Stars interessieren Brych bei der Recherche.
«Ein Stürmer, der zehnmal nacheinander getroffen hat, lässt sich von mir wenig bis nichts sagen. Den muss ich ganz anders anpacken als einen, der zehn Spiele nicht getroffen hat», beschreibt es der FIFA-Weltschiedsrichter von 2017. «Ich erinnere mich noch an ein Spiel mit Wayne Rooney, der zu der damaligen Zeit private Probleme hatte. Dann spielte er im Regen in Braga. Da muss man feinfühlig im Umgang sein.» Das Miteinander ist gerade mit Alpha-Tieren wie Sergio Ramos, Giorgio Chiellini, Zlatan Ibrahimovic oder Sergio Busquets entscheidend. Denn wenn man die Anführer als «Partner» gefunden hat, hilft das enorm. «So, wie Ramos und ich miteinander umgehen, gehen auch die Mitspieler mit mir um.»
«Im heutigen Fußball ist es unmöglich, alles zu sehen»
Dazu muss Brych als «Individualsportler» viel für den Körper tun. «Mit 40 kann man nicht mehr so trainieren wie mit 30. Aber wenn man mit fast 48 Jahren noch Leistungssportler ist und einem 19-jährigen Jude Bellingham hinterherrennt, hat man viel richtig gemacht», beschreibt Brych. Fitness und Erscheinungsbild haben eine immense Wirkung auf dem Platz.
«Er hat eine große Erfahrung, insbesondere auch in der Leitung von komplizierten und wichtigen Spielen. Er hat stets hart an sich gearbeitet und ist auch athletisch noch voll auf der Höhe», sagt Lutz Michael Fröhlich, Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB-Schiri GmbH. Der 65-Jährige findet es «sehr gut», dass Brych die Karriere national fortsetzt. Brych freut sich dabei, dass er den Videoschiedsrichter als «doppelten Boden» hat.
In der Regel setzt Brych, der als Abteilungsleiter Talentförderung und Schiedsrichter beim Bayerischen Fußball-Verband arbeitet, einen ganzen Tag für die Vorbereitung an. «Im heutigen Hochgeschwindigkeitsfußball ist es unmöglich, alles zu sehen. Meine größten Entscheidungen habe ich in die Zweifel reingepfiffen», sagt der fünfmalige Schiedsrichter des Jahres in Deutschland. «Manche Dinge muss man fühlen und anhand anderer Parameter oder Indizien entscheiden. Je besser die Vorbereitung war, desto besser war mein Gefühl für die Situationen.» Auch der Matchplan wird abgesteckt: Setzt man enge Grenzen oder lässt man mehr laufen? «Aber wenn das Spiel dann ganz anders läuft oder die Stimmungen auf dem Platz anders sind, muss man den Matchplan anpassen.»
Rodel-Olympiasieger Georg Hackl als Vorbild
Wie hart sich Fehler in der Vorbereitung auswirken können, erlebte Brych bei der WM 2018. «Das ist mir leider bei der WM 2018 im Spiel zwischen der Schweiz und Serbien passiert. Die politischen Konflikte dahinter hatte ich unterschätzt», sagt er. Brych hatte beim Turnier das aufgeladene Duell geleitet und war danach wegen eines nicht gegebenen Elfmeters von serbischer Seite angefeindet worden. Das Spiel und die wüsten Proteste des serbischen Verbandes kosteten ihn die Möglichkeit auf weitere Spiele in Russland.
«Danach ging es mir nicht gut, auch körperlich nicht. Dann isst man abends auch mal zu viel Schokolade. Danach war jedes Spiel eine Belastung, weil es immer um mein Überleben als international anerkannter Schiedsrichter ging», erinnert er sich. Umso wichtiger war dem Olympia-Schiedsrichter von 2012 ein erfolgreicher internationaler Abschied bei der EM 2021.
Die Ausbildung für Schiedsrichter in Deutschland bewertet Brych als gut. Doch die allein reiche nicht für alles. «Wenn man als Individualsportler, und so sehe ich den Schiedsrichter, ein besonderes Niveau erreichen möchte, muss man mehr machen als das Alltägliche», sagt Brych. «Ich nehme gerne Rodel-Olympiasieger Georg Hackl als Beispiel. Der hat auch Nacht für Nacht an dem Schlitten herumgetüftelt, um die entscheidenden Zehntel rauszuholen.»