Mit deutlichen Worten und der Hoffnung auf Hilfe aus den Reihen der Fans hat VfL Bochums Vorstandsboss Hans-Peter Villis auf den folgenreichen Becherwurfskandal im Ruhrstadion reagiert.
«Mit solchen Fans wollen wir nichts zu tun haben», sagte Villis der «Bild» und legte nach: «Hier gibt es ein paar Fans, die ihre Hände und ihr Gehirn nicht im Griff haben. Aber das sind einzelne.» Das sei nicht das Verhalten des VfL, betonte der Vereinschef: «Das sind einzige Idioten, die das Image des Vereins nach unten ziehen.»
Schiedsrichterassistent Christian Gittelmann musste nach dem Eklat sogar ins Krankenhaus. Er war in der 68. Minute von dem Becher am Kopf getroffen worden. Es stand 2:0 für die Gäste von Borussia Mönchengladbach, als sich der Vorfall ereignete und die Partie letztlich abgebrochen wurde. Erst zum achten Mal in der Geschichte der Fußball-Bundesliga musste ein Spiel abgebrochen werden.
Bochums Boss redet Klartext
«Ein paar Leute machen uns alles kaputt, was wir uns seit Jahren hier aufbauen. Das ist hart, das ist entsetzlich», sagte Villis. «Man muss sich mal den Zusammenhang vor Augen führen: In der Ukraine ist Krieg, wir machen ein Sondertrikot, machen echt alles, um unseren Beitrag zu leisten für dieses fürchterliche Geschehen. Und da sitzen Leute und schmeißen absichtlich mit einem Bierbecher. Wie doof kann man sein? Hier sind 25.000 Zuschauer, machen tolle Stimmung, aber einige Leute schnallen es nicht. 1200 Kilometer von uns ist Krieg …».
Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes nahm die Ermittlungen nach dem Becherwurf-Skandal auf. Im ersten Schritt werde das Gremium die Sonderberichte der Schiedsrichter und der Sicherheitsaufsicht sowie die Fernsehbilder auswerten, hieß es in einer DFB-Mitteilung. Außerdem würden nach dem Abbruch ein Ermittlungsverfahren gegen das Heimteam eingeleitet und Stellungnahmen eingeholt.
«Wichtig wäre natürlich, dass der VfL Bochum jetzt alles daransetzt, den Täter zu ermitteln und diesen anschließend mit aller Konsequenz zur Rechenschaft zieht», sagte Anton Nachreiner als Vorsitzender des Kontrollausschusses.
Über die Wertung der Partie entscheide das DFB-Sportgericht, hieß es zudem in der DFB-Mitteilung mit Verweis auf die entsprechende Passage. In Paragraf 14, Absatz 4 der DFB-Spielordnung ist mit Verweis auf die DFB-Ordnung geregelt, dass bei einem Verschulden des Abbruchs durch ein Team die Partie mindestens mit 2:0 für die unschuldige Mannschaft zu werten ist.
«Es ist natürlich anzunehmen, dass das Spiel gegen uns gewertet wird», sagte Bochums Co-Trainer Markus Gellhaus, der den mit dem Coronavirus infizierten Chefcoach Thomas Reis an der Seitenlinie vertrat. Beim bislang letzten derartigen Fall war die Partie des FC St. Pauli gegen den FC Schalke 04 mit 2:0 für die Gäste gewertet worden, nachdem am 1. April 2011 Schiedsrichterassistent Thorsten Schiffner zwei Minuten vor Ende von einem vollen Bierbecher im Nacken getroffen worden war. Zu dem Zeitpunkt hatte Schalke auch 2:0 geführt.
Reis: «Keine Ahnung, was in so einem Kopf vorgeht»
Auch Bochums Trainer Reis zeigte sich fassungslos. «Was soll ich dazu sagen? Das ist unbegreiflich», sagte der 48-Jährige der «Bild». «Da fallen mir keine Worte ein, wie ich solche Leute bezeichne. Vielleicht nutzen sie das Stadion, um ihre Aggressionen rauszulassen. Vielleicht war auch Alkohol im Spiel. Keine Ahnung, was in so einem Kopf vorgeht.» Reis hatte die Begegnung wegen einer Corona-Infektion nicht im Stadion, sondern vor dem Fernseher verfolgt.
«Ich hoffe sehr, dass die Auswertung der Bilder oder Zeugenaussagen zur Ermittlung des Täters führen. Außerdem hätte ich mir etwas mehr Zivilcourage der umstehenden Leute gewünscht», sagte Reis. Auf die Frage, ob er als Strafe ein Geister- oder Auswärtsspiel statt eines Heimspiels mit Fans akzeptieren würde, sagte er: «Wir können eh nichts machen außer mit jeder Strafe rechnen. Und dass wir sie akzeptieren werden, haben wir ja schon deutlich gemacht.»
Derzeit werden die Bilder ausgewertet. Der VfL werde die Polizei bei ihren Ermittlungen tatkräftig unterstützen, teilten die Bochumer noch in der Nacht mit. Der Bundesligist behalte sich unter anderem «Schadenersatzansprüche vor. Denn wir gehen davon aus, dass der VfL verbandsseitig bestraft wird», heißt es in dem Statement.
«Bei einem tätlichen Angriff auf einen Spieloffiziellen, in dem Fall den Schiedsrichter-Assistenten, ist ein Spielabbruch einfach alternativlos», sagte Schiedsrichter Benjamin Cortus bei DAZN. Der Becher habe Gittelmann klar am Kopf getroffen, sagte Cortus. «Er war benommen, ist ins Krankenhaus gebracht worden und wird dort entsprechend untersucht», sagte der Hauptschiedsrichter. Florian Heft, Cortus‘ zweiter Assistent, habe Gittelmann ins Krankenhaus begleitet.
Schädelprellung und ein Schleudertrauma bei Gittelmann
Gittelmann ist inzwischen wieder zu Hause und erholt sich. «Der Treffer hat mich mitgenommen, zumal es mich mit voller Wucht und unerwartet am Kopf getroffen hat», sagte der 39-Jährige in einem auf der DFB-Internetseite veröffentlichten Interview. «Ich habe mich gestern nach dem Vorfall vorsichtshalber im Krankenhaus untersuchen lassen. Es wurde eine Schädelprellung und ein Schleudertrauma diagnostiziert.» Die Tat mache ihn «fassungslos».
«Jetzt werde ich mir ein paar Tage nehmen, um zur Ruhe zu kommen und die Sache zu verarbeiten», sagte Gittelmann. «Ich bin froh, wenn ich schnellstmöglich wieder auf den Platz zurückkehren kann. Schon am kommenden Wochenende bin ich für einen Länderspiel-Einsatz eingeplant.»
Wütende Bochumer Spieler
Der Wurf sorgte auch bei den Spielern für Unverständnis und Wut. «Sehr traurig, dass sich sowas VfL Bochum Fan nennt!», schrieb Manuel Riemann bei Instagram. Der Bochumer Keeper war nach der Spielunterbrechung aus seinem Tor gelaufen und hatte in Richtung der Fans auf dem Tribünenabschnitt, aus dem der Becher geflogen kam, gebrüllt.
Riemanns derzeit verletzter Teamkollege Simon Zoller wurde ebenfalls deutlich. «Wir, der VfL Bochum, schreiben seit knapp 2 Jahren eine unfassbare Geschichte. Diese Aktion ist einfach nur respektlos gegenüber all denen, die sich jeden Tag den Arsch aufreißen, um diese Reise zu erleben! Geschweige denn dem Linienrichter! DU hast im Stadion nichts verloren!», schrieb der 30-Jährige bei Twitter.