Obwohl das Thema psychischer Krankheiten im Profi-Sport immer mehr in den Fokus rückt, sieht Fußball-Profi Timo Baumgartl im Fußball eine Kultur des Verschweigens und Verdrängens.
«Es gibt viel stilles Leid in deutschen Fußballkabinen», sagte der 27 Jahre alte Innenverteidiger, der den Bundesligisten 1. FC Union Berlin nach der Saison verlassen wird, im Interview dem «Stern». «Profifußballer sind am Ende Ich-AGs, selbst in einer funktionierenden Mannschaft. Deine Probleme interessieren die meisten Teamkollegen nur, solange sie selbst gut spielen. Läuft es bei ihnen schlechter, haben sie oft keinen Kopf mehr für deine Sorgen.»
Professionelle Hilfe bei mentalen Belastungen in Anspruch zu nehmen, sei noch immer ein Tabuthema. «Das ist absurd, weil im Fußball versucht wird, jedes Prozent Leistung aus einem Sportler rauszuholen. Warum schaut man dabei nur auf den Körper und nicht auf die Seele?», sagte Baumgartl. Bei einem Bänderriss sei klar, dass ein Arzt helfen müsse.
Zeichen der Stärke
«Warum gilt das nicht ebenso selbstverständlich bei mentalen Problemen? Für mich ist es ein Zeichen von Stärke, zur Therapie zu gehen», sagte Baumgartl. Dabei kenne er Spieler, «die haben vor jeder Partie Durchfall. Das sind keine Einzelfälle». Er selbst habe einen Tick entwickelt und eine halbe Stunde zum Anziehen seiner Fußballschuhe gebraucht. Erst durch eine Therapie habe er diesen Tick abstellen können.
Als Spieler lerne man schnell, dass es «in dieser Branche darum geht, auf dem Rasen zu funktionieren. Also nimmst du dich zurück», sagte Baumgartl, der nach seiner überstandenen Hodenkrebserkrankung immer noch regelmäßig zur Psychotherapie geht. «Viele Spieler würden über ihre Ängste gern sprechen, wenn sie könnten. Da bin ich mir sicher», sagte er. Die Therapie habe einen großen Anteil an seiner schnellen Rückkehr in den Leistungssport gehabt. Im Frühjahr 2022 war bei Baumgartl ein Hodentumor entfernt worden. Am 18. September 2022 feierte er nach überstandener Operation und Chemotherapie sein Startelf-Comeback.