Steffen Baumgart stand der Schock über das Erlebte auch am Tag danach noch ins Gesicht geschrieben.
«Anfang der 90er war ich in der Bereitschaftspolizei», sagte der Trainer des 1. FC Köln offen und tief bewegt. «Und genau aus diesen Gründen bin ich aus der Polizei ausgestiegen: Weil ich sowas nicht machen wollte. Deshalb ist es für mich nicht einfach, damit umzugehen.»
Baumgart muss Randale mit ansehen
Weil er für das Conference-League-Spiel beim OGC Nizza (1:1) gesperrt war, hatte Baumgart auf der Tribüne die Ausschreitungen vor der Partie mit 32 Verletzten aus der Nähe erlebt. «Ich halte mich nicht für den ängstlichsten Menschen», sagte er. «Aber das, was gestern passiert ist, wird mich sehr lange begleiten. Das war einfach nur nackte Gewalt. Und das ist beängstigend, wenn man relativ dicht dran steht. Meine Familie saß auf den Sitzen, wo sie vorbeigelaufen sind. Da geht einiges in einem ab.»
Er sei «nur froh, dass die Jungs das nicht mitbekommen haben», sagte der Coach mit Blick auf seine Spieler, die zu dem Zeitpunkt in der Kabine waren. Er habe sich «keine Gedanken gemacht, ob das Spiel stattfinden soll. Ich habe den jungen Mann die Tribüne runterstürzen sehen. Da bist du einfach nur geschockt. Da geht es nicht um den Gedanken, ob du spielst.» Am Ende sei es richtig gewesen, das Spiel anzupfeifen, «denn wenn alle unter diesen kurzfristigen Emotionen das Stadion verlassen hätten, wissen wir nicht, was noch passiert wäre».
Er selbst habe versucht, auf die Randalierer einzuwirken, berichtete er. «Aber da war nichts möglich. Die Jungs, die hochgeguckt haben, haben durch mich durchgeguckt. Und danach sind wir in den VIP-Raum gegangen, um selbst geschützt zu sein.» Er habe darum gebeten, kurz zur Mannschaft zu dürfen. «Das wurde wegen der Gelb-Roten Karte abgelehnt, obwohl es eine Grenzsituation war», sagte er. «Da sieht man, dass manche Leute nicht bereit sind, das Gehirn einzuschalten.»
Folgen für Köln noch nicht absehbar
Die Konsequenzen für den Verein seien «noch nicht abzusehen», sagte Geschäftsführer Christian Keller. «Ich will auch nicht spekulieren. Da gibt es sicher eine große Bandbreite.» Diese reicht von Geldstrafen bis zu Auflagen oder auch Geisterspielen und Zuschauer-Ausschluss bei Auswärtsspielen.
Die Europäische Fußball-Union UEFA leitete am Freitag eine Untersuchung ein. Bei den Vorwürfen gegen den 1. FC Köln geht es um das Werfen von Gegenständen, das Abbrennen von Feuerwerkskörpern und die Tumulte auf den Rängen. Gegen die Gastgeber wird auch wegen der Sicherheitsvorkehrungen ermitttelt.
Eine 2017 gegen den FC verhängte Zweijahres-Bewährung nach Fan-Vorfällen ist nach Vereinsangaben derweil abgelaufen, auch wenn die Kölner seitdem nicht am Europacup teilgenommen haben. Ihm sei aber klar, dass die Vorgeschichte trotzdem dazu beitrage, kritischer beäugt zu werden, sagte Keller: «Wenn du einmal Blödsinn gemacht hast, stehst du mehr unter Beobachtung, als wenn du dir nie was zuschulden hast kommen lassen.»
Als Direkt-Maßnahme wurde die nächste Europacup-Partie am kommenden Donnerstag gegen den 1. FC Slovacko aus Tschechien von der UEFA «zum Risikospiel aufgewertet». Die Staatsanwaltschaft in Nizza hat mehrere Ermittlungsverfahren wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung oder Gewalt am und im Stadion eingeleitet.
Schuldfrage offen – Keller kritisiert Polizei
Schwierig ist aber die Frage nach der Schuld. Nizzas Trainer Lucien Favre hatte erklärt, dass sein Verein kein Verschulden bei sich und seinen Fans sehe. Würde Nizza zu einem Geisterspiel verurteilt «wäre das ungerecht», sagte der langjährige Bundesliga-Trainer. Die Präfektur in Nizza machte am Freitag ebenfalls in erster Linie die deutschen Fans verantwortlich. «Es scheint, dass es eindeutig letztere waren, die die Nizzaer provozierten, unterstützt von Fans, die wahrscheinlich aus Paris kamen», hieß es.
Die Zahl der eingesetzten Polizeikräfte sei im Tagesverlauf bereits von 450 auf 650 erhöht worden, als sich gezeigt habe, dass die betrunkenen deutschen Fans ein inakzeptables Verhalten in der Innenstadt von Nizza an den Tag gelegt haben sollen. Die Sicherheitsvorkehrungen seien dem Risikopotenzial der Begegnung angemessen gewesen.
Keller betonte, dass der FC im Vorfeld auf Sicherheitsbedenken aufmerksam gemacht habe. «Wir haben darauf hingewiesen, dass wir ein deutlich höheres Polizeiaufkommen für angemessen erachten. Wir haben auch darauf hingewiesen, dass wir eine bessere Fantrennung für sehr sinnvoll und wichtig erachten», sagte er. «Weil bekannt ist, dass es rivalisierende Lager gibt und dass die verbotene Fangruppe von Paris Saint-Germain wahrscheinlich kommen wird und Probleme mit Nizza hat. Doch die Vorschläge wurden im Endeffekt größtenteils nicht angenommen.» Unabhängig von der Aufarbeitung war Keller genervt und verärgert: «Das geht mir richtig auf den Sack.»
1. FC Köln will Randalierer ausschließen
Den Kölnern ist auch schon vor der detaillierten Aufarbeitung eines klar. Man werde «mit aller Härte und Entschlossenheit» versuchen, die Beteiligten an den Krawallen zu ermitteln. «Ich weiß nicht, ob das 50, 60 oder 70 waren. Es waren auf jeden Fall sehr, sehr wenige», sagte Keller. «Aber wir werden alles probieren, um möglichst viele rauszuziehen. Und die schließen wir dann aus, die werden nix mehr machen.»
Positiv war für den Geschäftsführer das Verhalten des großen Teils der friedlichen Fans. «Über 7900 der 8000 haben sich korrekt verhalten», sagte er. «Ich habe gehört, wie 7900 gesungen haben: «Wir sind Kölner und ihr nicht.» Das ist gelebte Zivilcourage. Oder wenn ich Videos sehe, auf denen richtige Fans versuchen, den anderen die Sturmkappen wegzuziehen – das ist Zivilcourage. Davon brauchen wir mehr. Und da muss der Club vorangehen.»