Mehr als 50 Absätze, eine große Liebeserklärung: Ilkay Gündogan hat sich mit ganz viel Pathos von Manchester City verabschiedet und will seine Erfolgsstory nun beim FC Barcelona mit Kumpel Robert Lewandowski fortschreiben.
In seinem ungewöhnlich langen Abschiedsbrief von Fans und Kollegen des englischen Triple-Siegers gab der deutsche Nationalspieler am Montag in «The Players Tribune» tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt.
Gündogans Dank ging nach der finalen Krönung in der Königsklasse an praktisch alle Citizens: Die Mitspieler um Tormaschine Erling Haaland, explizit auch an Ersatztorwart Stefan Ortega und natürlich Trainer Pep Guardioala. Den mit arabischen Milliarden aufgepumpten Erfolgsclub beschrieb Gündogan als freundliches Familiengebilde. Sogar die Spieler-Frauen bekamen Lob für die schönen Grill-Abende.
«Jeden Tag haben wir gelacht und das ist selten im Fußball», notierte der eher introvertierte Profi. Nur vom deutschen Fußball, der Nationalmannschaft und deren misslicher Lage sprach Deutschlands derzeit bester Fußballer in seiner Herz-Schmerz-Danksagung praktisch nicht.
«Ich bin auf einem Fuß humpelnd hierhergekommen, aber ich verlasse diesen Ort mit dem Gefühl, in den Wolken zu schweben», erinnerte der 32-Jährige an seinen schwierigen City-Start vor sieben Jahren, als er am Knie verletzt in Manchester ankam, praktisch nur Trainer Guardiola als großen Fürsprecher auf seiner Seite. Das Urteil über seinen scheidenden Spieler hat der Erfolgscoach längst gefällt: «Er kann alles.» Gündogan sei der «intelligenteste Spieler», der ihm je untergekommen sei.
Gündogan geht als fünffacher englischer Meister, als Kapitän und Champions-League-Sieger, 14 Pokale holte er mit den Himmelblauen insgesamt. «Als ich hier ankam, war ich ein junger Mann ohne Kinder und mit vielen Träumen. Ich kann es kaum glauben, aber sieben Jahre später verlasse ich euch als Vater, der jeden einzelnen seiner Träume erfüllt hat», schrieb der frühere Profi von Borussia Dortmund, dessen Sohn im März geboren wurde.
BVB-Bemühungen ohne Erfolg
Der BVB hatte sich um eine Rückkehr des Mittelfeldstrategen in die Bundesliga bemüht – aussichtslos bei der internationalen Konkurrenz. Nicht einmal Guardiola konnte Gündogan zum Bleiben in Manchester überreden. Seinem Fußball-Ziehvater den Abschied zu verkünden, sei einer «der härtesten Anrufe» gewesen.
Aber: Der Vertrag lief aus. Ablösefrei ist der Wechsel möglich. Und der Junge aus dem Ruhrpott will sich den Kindheitstraum Barça erfüllen. «Es war Barcelona oder nichts», beschrieb er seine kategorische Präferenz. Die Perspektive scheint bestens. In Xavi wartet ein Trainer auf ihn, der ihn fußballerisch genau versteht und wie Guardiola zu einer wichtigen Bezugsperson werden kann. So ein Klima ist wichtig für Gündogan.
«Ich sehe so viele Ähnlichkeiten zwischen uns als Charaktere und in der Art und Weise, wie wir das Spiel sehen», berichtete Gündogan über das Verhältnis mit dem einst ebenfalls genialen Achter. «Ich war nicht auf der Suche nach einer einfachen Landung. Ich war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Darum geht es in diesem nächsten Kapitel», erklärte er.
Zahlreiche Verletzungen
Einfache Landungen hatte Gündogan wenige in seiner Karriere. Die WM 2014 und die EM 2016 verpasste er wie viele andere Titelchancen verletzt. Es hätten schon viel mehr als die bislang 67 Länderspiele sein können. Der Skandal um die Erdogan-Fotos vor der WM 2018 ist ein dunkler Schatten. Im Gegensatz zu Kollege Mesut Özil war Gündogan in der Lage, die schlimmsten Wogen zu glätten. Er trägt als Vertreter immer wieder mal die schwarz-rot-goldene Kapitänsbinde. Doch trotz Top-Leistungen in England blieb die Beziehung zu den deutschen Fans und auch zum DFB-Establishment irgendwie immer fern von großer Herzlichkeit.
«Wenn es darauf ankam», sei Gündogan «immer da» gewesen, hatte Bundestrainer Hansi Flick vor dem jüngsten vermasselten Länderspiel-Dreierpack gesagt, bei dem Gündogan nach den Titelfeiern mit City nur im letzten Test gegen Kolumbien (0:2) spielte. Einen Fix-Platz in der geliebten Zentrale wie in Manchester hat Flick ihm aber nie als Standard eingeräumt.
«Er hat in den entscheidenden Spielen seine Leistung abgerufen», fügte der Bundestrainer kürzlich an. Bis heute unverstanden bleibt die Auswechslung von Torschütze Gündogan beim 1:2 gegen Japan – dem Anfang vom Ende bei der WM in Katar. Und kürzlich lobte der Bundestrainer in einer Antwort auf eine Gündogan-Frage eher dessen DFB-Kollegen Joshua Kimmich. Das Fremdeln hat eben irgendwie bislang nie aufgehört. Nur einmal taucht das Wort «flick» in Gündogans großem Fußball-Liebesbrief am Montag auf – als er sein Volleytor (englisch: to flick) für Manchester City gegen den FC Everton beschreibt.