«Morgen werdet ihr verkauft», sangen die Luton-Fans an der Londoner Stamford Bridge in Richtung der Gastgeber. Chelsea-Coach Thomas Tuchel wirkte noch etwas baff über den bevorstehenden Verkauf des FC Chelsea.
«Das ist hart. Ich habe es noch nicht ganz verdaut», sagte Tuchel dem Sender Sky Sports. Erst kurz vor dem Anpfiff des Pokalspiels gegen Luton Town (3:2) hatten Tuchel, die Spieler und die Fans erfahren, dass der russische Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch den Verein abgeben will. «Das ist natürlich eine massive Kursänderung», so Tuchel. «Da haben wir vorher nicht drüber gesprochen.» Die Zukunft des FC Chelsea ist voller Fragezeichen.
Tuchel äußerte die Hoffnung, dass sich durch den Verkauf zumindest kurzfristig nichts für ihn und das Team ändert. Welchen Einfluss Abramowitsch auf Chelsea hatte, ist jedoch nicht zu unterschätzen. Seit er die Blues vor 19 Jahren übernommen hatte, gewann Chelsea alle national und international möglichen Trophäen und war damit in den letzten zwei Jahrzehnten der erfolgreichste englische Fußballverein. «Wir haben alles gewonnen», singen die Chelsea-Fans gern, während aus den gegnerischen Fanblöcken «Ihr habt alles gekauft» zu hören ist.
Geld für Stars und Trainerwechsel
Bisher konnten sich die Blues darauf verlassen, dass ihr Besitzer das Geld für teure Spielerverpflichtungen und hohe Gehälter zur Verfügung stellt. So konnte man unzählige Stars nach London holen und den Trainer wechseln, wenn es mal weniger gut lief. Das wirkte mitunter chaotisch, führte aber doch immer wieder zum Erfolg. Zuletzt gewann Chelsea die Champions League und erstmals die Club-WM. In welchem Umfang sich die Dinge in Zukunft ändern, hängt maßgeblich von der Herangehensweise des neuen Besitzers ab. Das Beispiel Manchester United zeigt, dass reiche Inhaber keinen Erfolg garantieren.
Der Verkauf sei «sowohl im besten Interesse des Clubs, der Fans, der Mitarbeiter als auch der Sponsoren und Partner», hatte Abramowitsch am Mittwochabend über die Chelsea-Website mitteilen lassen. Was im schockierten Chelsea-Umfeld für Erleichterung gesorgt haben dürfte, war seine Ankündigung, er werde keine Rückzahlung der Darlehen fordern, die sich auf 1,5 Milliarden Pfund belaufen sollen. «Es ging mir nie um das Geschäft oder das Geld», betonte der 55-Jährige, «sondern rein um die Leidenschaft für den Fußball und den Verein.»
Erfolglos hatte er zuvor versucht, die operative Kontrolle über Chelsea an die Verwalter der wohltätigen Chelsea-Stiftung abzutreten. Dass er sich nun doch für die Ultima Ratio, den kompletten Rückzug entschieden hat, hängt vermutlich auch mit der Sitzung des britischen Parlaments am Mittwoch zusammen. Dort hatte Oppositionsführer Keir Starmer von der Labour-Partei Premierminister Boris Johnson wütend aufgefordert, endlich Sanktionen gegen Abramowitsch zu verhängen. Der Verkauf Chelseas dürfte insofern wohl nicht nur im Interesse des Clubs sein, sondern genauso oder noch mehr im Interesse des Russen.
Unterstützung einer Stiftung
Etwas überraschend kündigte Abramowitsch dazu an, der Erlös aus dem Verkauf werde in eine wohltätige Stiftung fließen, die «allen Opfern des Krieges in der Ukraine» zu Gute kommen soll. Offen ist, wie die Stiftung arbeiten soll und inwieweit die Ukraine und ihre Bevölkerung tatsächlich profitieren. Für Kritik sorgte, dass Abramowitsch, dem eine Nähe zu Kreml-Chef Wladimir Putin nachgesagt wird, Russland mit keinem Wort erwähnt. Auch verurteilten weder er noch Chelsea den russischen Angriff auf die Ukraine bisher in einem ihrer Statements.
Unklar ist auch, ob sich der FC Chelsea, den Abramowitsch 2003 für 140 Millionen Pfund übernommen hatte, so kurzfristig verkaufen lässt. Und für welchen Preis. Nach Informationen des Online-Magazins «The Athletic» soll Abramowitsch eine Frist bis Freitag für Angebote gesetzt haben. Der «Telegraph» wiederum nannte den 15. März. Es ist davon auszugehen, dass der Oligarch aufgrund der drohenden Sanktionen keine Zeit verlieren will. Gleichzeitig versucht Abramowitsch laut Medienberichten seine Immobilien in England loszuwerden.
Ein möglicher Chelsea-Interessent ist der Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss, der Abramowitsch am Mittwoch in der Zeitung «Blick» vorgegriffen hatte. Der 86-Jährige betonte allerdings, er würde einen Kauf nur als Teil eines Konsortiums erwägen. Der US-Geschäftsmann und Wyss-Vertraute Todd Boehly (46), Teilinhaber des Baseball-Teams Los Angeles Dodgers, gilt als aussichtsreicher Kandidat. Laut «The Athletic» hatte Boehly schon 2019 ein Angebot über 2,2 Milliarden Pfund (ca. 2,7 Milliarden Euro) abgegeben, das abgelehnt wurde. Auch der ägyptische Unternehmer Loutfy Mansour soll Interesse haben.
Chelsea ohne Abramowitsch? Das könne er sich kaum vorstellen, sagte Thomas Tuchel am Mittwoch. Von den Ereignissen wolle er sich aber nicht aus der Ruhe bringen lassen. «Das wird eine große Veränderung, aber ich habe keine Angst vor Veränderung und werde mich darauf konzentrieren, was ich beeinflussen kann», sagte der Coach. «Ich bin nicht allzu besorgt, denn ich fühle mich hier immer noch privilegiert und an einem guten Ort. Ich hoffe aufs Beste und bin zuversichtlich.»