Inmitten des Jubels Tausender Argentinier und umringt von seinen kleinen Kindern genoss Lionel Messi den größten Moment seiner fantastischen Karriere. Mit dem goldenen WM-Pokal in der Hand feierte der Superstar der umstrittenen Katar-WM im gigantischen Lusail Stadion ein Stück Fußball-Geschichte – und mit ihm eine ganze Nation.
Die Albiceleste mit ihrem wieder überragenden Anführer gewann das hochdramatische Finale gegen den entzauberten Titelverteidiger Frankreich mit 4:2 (3:3, 2:2, 2:0) im Elfmeterschießen.
«Es ist verrückt, dass es so passiert ist. Ich wollte es so sehr. Ich wusste, dass Gott es mir geben würde, ich hatte das Gefühl, dass es so sein würde», sagte Messi nach seiner Krönung. Den «wunderschönen» Pokal wollte er gar nicht mehr aus den Händen geben. «Wir haben viel gelitten, aber wir haben es geschafft. Wir können es kaum erwarten, in Argentinien zu sein, um zu sehen, wie verrückt es dort sein wird.»
Martínez: «Wir haben unglaublich gelitten»
36 Jahre nach dem Titelgewinn des großen Diego Maradona bekam Messi bei seiner fünften WM um 21.43 Uhr Ortszeit von Emir Tamim bin Hamad Al Thani und FIFA-Präsident Gianni Infantino den Pokal überreicht. Dass ihm dabei von den Würdenträgern ein Bischt, das traditionelle edle Übergewand Katars für bedeutende Persönlichkeiten am Nationalfeiertag, übergezogen wurde, sorgte für Kritik. In der Kabine störte das keinen der argentinischen Profis bei der feuchtfröhlichen Siegesfeier.
Der 35 Jahre alte sechsmalige Weltfußballer wurde auch als bester Spieler der WM ausgezeichnet, der Pokal bekam gleich mehrere Küsse. Messi hatte schon während der Endrunde angekündigt, dass dies seine letzte WM sei.
«Wir haben unglaublich gelitten», sagte Argentiniens Emiliano Martínez, der im Elfmeterschießen den Versuch des Bayern-Profis Kingsley Coman gehalten hatte und zum besten Torwart des Turniers gewählt wurde. Sein Trainer Lionel Scaloni äußerte: «Wir haben es noch gar nicht realisiert. Man bekommt mal einen Nackenschlag, aber dann kommt man zurück, darum geht es. Wir sind ganz oben, das ist einzigartig.»
Keine Titelverteidigung für Frankreich
Die Équipe Tricolore verpasste vor 88.966 Zuschauern die historische Chance, wie zuletzt Brasilien 1962 zum zweiten Mal nacheinander den WM-Titel zu gewinnen. Dass sich Frankreich überhaupt in die Verlängerung retten konnte, verdankte der Weltmeister von 2018 seinem Superstar Mbappé. Der 23-Jährige traf in der 80. Minute per Foulelfmeter, in der 81. per traumhaftem Seitfallzieher und in der 118. per Handelfmeter. Doch es half nichts. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron tröste den bitter enttäuschten Mbappé auf dem Rasen.
«Ich habe allen Spielern gesagt, dass sie uns unendlich stolz gemacht haben, dass sie uns zum Schwärmen gebracht haben», sagte der Staatschef. Trainer Didier Deschamps bedauerte, dass das Comeback nicht zum Erfolg gereicht hatte. «Ich habe viele verschiedene Emotionen durchgemacht», sagte er. «Es sollte nicht sein.»
Messi hatte per Foulelfmeter (23.) zum 1:0 getroffen, in der Verlängerung (108.) folgte sein 13. WM-Tor, mit dem er Brasiliens Fußball-Ikone Pelé (12) überflügelte. Der starke Ángel Di María (36.) hatte in der regulären Spielzeit noch vor der Pause das zwischenzeitliche 2:0 erzielt. Im Elfmeterschießen trafen Messi und Mbappé jeweils als erste Schützen ihres Teams.
Auf der Ehrentribüne schauten neben dem Staatsoberhaupt Katars zahlreiche Ehrengäste bestens unterhalten zu. Das Finale war Schaufenster für die große Politik. Den Tausenden Fans hatte der Emir vor dem Anpfiff kurz zugewinkt, Jubel brandete auf. Das Emirat bekam perfekt geplant am Nationalfeiertag das, auf das seit der WM-Vergabe vor zwölf Jahren hingearbeitet wurde: Ein glänzendes Finale im Scheinwerferlicht – ungeachtet der lauten Kritik, insbesondere aus Deutschland wegen Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung ausländischer Arbeiter.
WM-Finale als Hollywood-Drehbuch
Über 200 Milliarden Euro soll das Gesamtspektakel gekostet haben. Wie im Hollywood-Drehbuch passte das Endspiel mit den Starspielern Messi und Mbappé in das Katar-Getöse. Beide stehen bei Paris Saint-Germain unter Vertrag, dem französischen Vorzeigeclub, der von Katar als Werbeprojekt finanziert wird. Schon in der Anfangsphase war Messi deutlich präsenter – wie die gesamte argentinische Auswahl.
Trainer Scaloni hatte nach dem klaren Halbfinalsieg gegen Kroatien offensiver aufgestellt. Über die linke Seite sorgte von Beginn an Di María immer wieder für Gefahr, und der 34-Jährige holte gegen den unglücklich agierenden Ousmane Dembélé auch den Strafstoß heraus. Messi schnappte sich nach dem Pfiff von Schiedsrichter Szymon Marciniak sofort den Ball – schloss am Elfmeterpunkt kurz die Augen und ließ Frankreichs Rekordtorwart Hugo Lloris mit dem Flachschuss in die untere rechte Ecke keine Chance. Mit weit ausgebreiteten Armen feierte Messi sein sechstes Tor in Katar.
Schwacher Start der Franzosen
Von Mbappé war lange wenig zu sehen, aber auch Antoine Griezmann, Dembélé und Olivier Giroud tauchten ab. Die hochgelobte Offensive der Équipe Tricolore fand bis weit in die zweite Halbzeit keinen Ansatz, die argentinische Abwehr zu überwinden. Trainer Didier Deschamps hätte der zweite Mann nach Pelé werden können, der dreimal Weltmeister wird.
Den perfekten Konter über Julián Álvarez, Alexis Mac Allister und schließlich Di María hatten die Franzosen nicht kommen sehen. Der Torschütze, der die gesamte K.o.-Phase angeschlagen nicht in der Startelf aufgelaufen war, schrie seine Freude in den Nachthimmel von Lusail. Kurz darauf reagierte Deschamps – er musste.
Der sichtlich bediente Trainer, dessen Team in den vergangenen Tagen mit Erkrankungen zu kämpfen hatte, nahm schon in der 41. Minute Dembélé und Giroud vom Feld. Der Frankfurter Randal Kolo Muani und der Gladbacher Marcus Thuram kamen in die Partie. In der zweiten Halbzeit wurde auch noch Coman (71.). Und nachdem zunächst Rodrigo de Paul (48.) und Messi (60.) ein drittes argentinisches Tor verpasst hatten, taten die drei Bundesliga-Profis der vorher so schwachen französischen Offensive gut.
Es war Kolo Muani, der den Elfmeter vor dem 1:2 herausholte. Und es war Coman, der nach dem spektakulären Ausgleich von Mbappé einen französischen Angriff nach dem anderen anschob. Das angeschlagene Argentinien rettete sich in den Schlussminuten sogar noch glücklich in die Verlängerung, in der es ohne den nach gut einer Stunde erschöpft ausgewechselten Di María auskommen musste. Um jeden Meter Rasen musste jetzt gerungen werden. Und dann kam Messi.
Der Superstar, der mit seinem 26. WM-Einsatz am bisherigen Rekordhalter Lothar Matthäus vorbeizog, staubte zum dritten Argentinien-Tor ab. Doch Mbappé schlug nochmal zurück. Die Entscheidung fiel im Elfmeterschießen.