Inmitten der schwersten Proteste seit Jahrzehnten haben Irans Fußballer die Nerven bewahrt und mit einem bewegenden WM-Sieg ihre Fans begeistert.
Die unter größtem politischen und sportlichen Druck stehenden Profis wussten nach einem spektakulären Last-Minute-Erfolg gar nicht mehr, wohin mit ihren Emotionen. Der große Druck seitens der Regierung, die vehementen Proteste in der Heimat und nun das 2:0 gegen Wales in Katar. Matchwinner Roozbeh Cheshmi sagte voller Rührung: «Wenn der Druck sich nur um Fußball drehen würde, wäre es akzeptabel. Zurzeit passieren einige Dinge für die Spieler, die nicht fair sind. Sie werden ungerecht behandelt, sie bekommen Druck abseits des Fußballs.»
Sein Tor in der achten Minute der Nachspielzeit hatte die nicht mehr für möglich gehaltene Party beim WM-Spiel in Al-Rajjan eingeleitet. Ausgelassen hüpften die Profis über den Rasen, der riesige Druck und die drohenden Strafen in der Heimat wirkten zumindest für einen kurzen Moment weit weg. Leverkusens Sardar Azmoun packte vor lauter Übermut seinen Trainer Carlos Queiroz am Hals und schüttelte ihn.
Geschichte des Spiels schon vor dem Anpfiff
«Wir haben uns alle gemeinsam geholfen. Ich habe das Tor gemacht, aber wir haben alle zusammengehalten», sagte Cheshmi. Er sprach von «einem Sieg der Solidarität». Ramin Rezaeien machte in der elften Minute der Nachspielzeit alles klar. Die beiden Tore waren auch eine Folge der Roten Karte des walisischen Keepers Wayne Hennessey.
Die Geschichte des Spiels ereignete sich aber schon vor dem Anpfiff. Anders als beim 2:6 gegen England, als die Profis aus Protest gegen das eigene Regime bei der Nationalhymne stumm geblieben waren, sangen Azmoun und Co. diesmal zu den Klängen mit. Wohl eher widerwillig und ohne große Leidenschaft. Die meisten Pfiffe in der Arena verstummten, als auf der Videowand ein herzzerreißend weinender älterer Fan mit einer iranischen Fahne gezeigt wurde. Es waren Bilder, die um die Welt gehen dürften.
Der Druck auf die Spieler, die auch um das Wohl ihrer Familien in der Heimat fürchten müssen, war wohl nach dem Auftaktspiel vor vier Tagen zu groß geworden. Daraufhin wurde über drohende drastische Sanktionen vonseiten der Regierung berichtet. «Im ersten Spiel lag riesiger Druck auf uns, dem konnten wir nicht standhalten. Deswegen gab es ein Ergebnis, das nicht so ausfiel, wie wir das wollten», sagte Cheshmi nach dem mit großem Herzen erkämpften Sieg über Wales. Nun kann am Dienstag (20.00 Uhr) gegen die USA tatsächlich beim sechsten WM-Turnier der erstmalige Einzug ins WM-Achtelfinale gelingen – und das inmitten allergrößter Turbulenzen.
Der Iran wird seit Wochen von den schwersten Protesten seit Jahrzehnten erschüttert. Der Tod einer jungen Frau im Polizeigewahrsam hatte diese ausgelöst, der Sicherheitsapparat reagiert mit äußerster Härte. Den Spielern sind mögliche Konsequenzen ihres Handelns in ihrer Heimat bewusst. «Beim England-Spiel waren wir natürlich wegen der Proteste nicht ausreichend fokussiert, aber zum Glück haben wir heute drei wichtige Punkte geholt. Die haben wir uns auch verdient», sagte Azmoun, der die heimische Regierung in den vergangenen Wochen besonders scharf angegriffen hatte.
Queiroz widmet Erfolg den iranischen Fans
Viele Anhänger der Protestbewegung hatten Irans Team Melli in den vergangenen Wochen scharf kritisiert. Vor allem ein Foto mit Präsident Ebrahim Raisi in ausgelassener Stimmung hatte kurz vor Abflug für Empörung gesorgt. Zu spät und zu klein sei die Aktion dann auf dem Spielfeld gewesen, bemängelten die Kritiker.
Vor der Begegnung wurde bekannt, dass der ehemalige iranische Nationalspieler Voria Ghafouri nach Angaben der regierungsnahen Nachrichtenagentur Tasnim am Donnerstag verhaftet worden sei. Dem 35 Jahre alten Verteidiger werde Propaganda gegen das iranische Politsystem sowie Beleidigung der Nationalmannschaft vorgeworfen, hieß es. Dieses Mal lobte Tasnim die Spieler wegen Mitsingens der Hymne.
Die Regierung beglückwünschte das Team unmittelbar nach Schlusspfiff für den sportlichen Coup. «Gratulation zu diesem ruhmreichen Sieg. Ihr habt die Menschen glücklich gemacht!», schrieb Außenminister Hussein Amirabdollahian bei Twitter. Der seit vielen Jahren bei Iran tätige Coach Queiroz aus Portugal widmete den Erfolg den iranischen Fans. Talkshow-Master Sina Valiollah sah es etwas differenzierter. «Wie glücklich müssten wir jetzt in einem normalen Leben über das Spiel des Nationalteams sein. Aber es ist schade, dass unser Leben nicht wie im Rest der Welt ist», schrieb Valiollah.