Über Weihnachten und den Jahreswechsel steht für Almuth Schult eine wichtige Überlegung an: Soll die deutsche Nationaltorhüterin und Fußball-Olympiasiegerin von 2016 ihre Karriere nach dieser Saison beenden oder nicht?
«Spiele ich beim VfL Wolfsburg weiter, spiele ich woanders weiter, spiele ich vielleicht gar nicht mehr weiter? Darüber mache ich mir Weihnachten Gedanken», sagte die 30-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. «Ich habe ein Angebot erhalten, meinen Vertrag in Wolfsburg zu verlängern. Aber ich muss mir jetzt klar werden, was für die Familie am besten ist.»
Schult hat zwei kleine Kinder, einen berufstätigen Ehemann und einen reiseintensiven Job. Bei den Männern hätten Fußballprofis «genug finanzielle Rücklagen, um ihre familiäre Situation zu händeln. Bei uns ist das nicht möglich», sagte sie.
2021 ein Schult-Jahr
Zumindest für die Öffentlichkeit ist 2021 Schults Jahr. Als TV-Expertin bei der Männer-EM wurde sie im Sommer hochgelobt. Als Mitgründerin der Initiative «Fußball kann mehr» fordert sie mehr Geschlechtergerechtigkeit im deutschen Fußball und ganz konkret eine Frauenquote für die Führungsebenen von Verbänden und Proficlubs. Im April gab die ehemalige Welttorhüterin zudem – nur ein Jahr nach der Geburt ihrer Zwillinge – ihr Comeback in der Bundesliga.
Doch Schults Erkenntnis selbst am Ende eines so bedeutenden Jahres ist nicht: Wir haben schon viel angestoßen. Sondern: «Es gibt noch viel zu tun.» Das gilt für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere genauso wie für den Einfluss von Frauen im Spitzenfußball. Eigentlich müsste sie für das Präsidentenamt beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) kandidieren, sagte Schult. «Als Verbandspräsidentin in einem Ehrenamt würde ich in Deutschland mehr verdienen als jede aktive Spielerin.»
Zumindest bei der Wahl im März 2022 ist das aber noch kein Thema. Zum einen, weil ihr als noch aktive Spielerin die Zeit dafür fehlt. Und zum anderen, weil diese Wahl nach Schults Überzeugung schon längst auf die alte und überkommene Weise entschieden wurde.
Initiative «Fußball kann mehr»
Im Mai trat Fritz Keller als DFB-Präsident zurück. Im selben Monat gründeten Schult, die ehemalige HSV-Vorständin Katja Kraus, die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb und andere Frauen die Initiative «Fußball kann mehr». Einer ihrer ersten Vorschläge war, den von Machtkämpfen zerrütteten DFB künftig von einer Doppelspitze leiten zu lassen.
«Schon das wurde kategorisch ausgeschlossen», sagte Schult, weshalb ihr Netzwerk nach einem eigenen Team für die Präsidentschaftswahl am 11. März suchte. «Wir haben den Willen. Aber dieser Wille wurde sehr getrübt durch die Nachricht, dass sich die Landesverbände bereits auf Bernd Neuendorf geeinigt haben. Damit ist die Wahl praktisch gelaufen», sagte Schult. «Wir haben gehofft, dass der DFB-Bundestag für einen Aufbruch steht. Aber offenbar will man den Weg weitergehen, den man in den letzten Jahrzehnten gegangen ist.»
Neuendorf selbst, aktuell noch Chef des Mittelrhein-Verbands, sieht das anders. «Wir müssen im DFB definitiv zu mehr Diversität kommen, insbesondere die Repräsentanz von Frauen in den Gremien stärken. Dafür brauchen wir umgehend klare Signale», sagte er dem «Kicker».
Nachfrage bei Schult: Hat sich Neuendorf oder sein Gegenkandidat Peter Peters oder irgendein anderer wichtiger DFB-Funktionär seit dem Sommer bei der Initiative gemeldet, um sie einzubinden, die Repräsentanz von Frauen zu stärken oder ein klares Signal zu setzen? Die Antwort ist: Nein.
Schult: «Die Widerstände sind immer noch da»
Mit vielen Vereinen und Verbänden seien sie nach eigenem Anstoß ins Gespräch gekommen. «Dass Leute auf uns zukamen und gesagt haben: Wir möchten mit euch sprechen – das gab es kaum», sagte Schult. Neuendorf betonte zwar, «keine Berührungsängste zu haben» und auf die Initiative zugehen zu wollen. Aber erst «Anfang 2022» – wenn alle Weichen für seine Wahl längst gestellt sind.
Für Schult zeigt dies: «Die Widerstände sind immer noch da.» Ja, die Digitalexpertin Donata Hopfen wird am 1. Januar bei der Deutschen Fußball Liga den Vorsitz der Geschäftsführung übernehmen. Und die bisherige Vizepräsidentin Nicole Kumpis soll 2022 zur Vereinschefin des Traditionsclubs Eintracht Braunschweig gewählt werden. Aber einzelne Signalwirkungen seien noch keine nachhaltige Entwicklung.
Dabei gebe es genau dafür «ein Momentum in der Gesellschaft», sagte Schult. «Und das ist: Wir wollen etwas verändern. Wir wollen mehr Mitbestimmung. Es geht um Respekt und Gerechtigkeit.» Für ihren Sport habe das zur Folge: «Der Fußball hat viel Kredit verloren.»
Dass zahlreiche Mitglieder des FC Bayern München das Thema Menschenrechte diskutieren wollten, aber die Führung des Vereins die Katar-Debatte abwürgte. Oder dass viele Fans während der Corona- Krise in Kurzarbeit mussten, aber einige Topgehälter teilweise weiter stiegen: All das seien Signale, «die man nicht übersehen sollte», wie Schult sagt. Und mehr Frauen, mehr Diversität, mehr Blickwinkel an den entscheidenden Stellen des Fußballs würden ihrer Meinung nach dafür sorgen, «dass man solche Signale auf jeden Fall erkennt».
Schult möchte, «dass der Fußball wieder nahbarer wird». Sie schlägt vor, «dass Fußballer andere Erfahrungen machen, um wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen», sagte sie. «Mal als Schiedsrichter zu pfeifen. Oder die Aufgaben des Zeugwarts zu übernehmen. Durch die Professionalisierung wird dem Profifußball immer mehr abgewöhnt.»
Viele Optionen für 2022
Sie selbst hat sich in diesem Jahr eine Menge Optionen geschaffen: eine Fernsehkarriere. Eine Führungsposition im Fußball. Eine Trainerlizenz hat Schult ebenfalls erworben. Auch der VfL Wolfsburg würde gern noch mit ihr weiterarbeiten, denn auch sportliche Ziele gäbe es noch genug: Den Meistertitel vom FC Bayern zurückzuerobern oder die WM 2023 in Australien und Neuseeland zu spielen. «Natürlich freue ich mich sehr, wenn sie sich für eine Zukunft beim VfL Wolfsburg entscheiden sollte», sagte Sportchef Ralf Kellermann. «Es liegt aber auch in meiner Verantwortung, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein und einen Plan B in der Tasche zu haben.»