Am Ende hat Alicia Andrich doch zugeschaut. «Das Tor hat sie gesehen, dann gehe ich mal davon aus, dass sie auch das Spiel geguckt hat», sagte ihr Mann, Fußball-Nationalspieler Robert Andrich, nach dem 2:0 im Halbfinal-Hinspiel der Europa League bei der AS Rom.
Normalerweise fiebert Alicia immer mit, wenn Robert für Bayer Leverkusen oder die Nationalmannschaft spielt, doch am Donnerstagabend war das alles andere als selbstverständlich. Der Grund für die Skepsis war die Tatsache, dass Andrich im Halbfinale des Vorjahres ebenfalls bei der Roma einen der schlimmsten Abende seiner Karriere erlebt hatte. Bei der 0:1-Niederlage erlitt er kurz vor Schluss einen Mittelfußbruch. Bayer schied durch ein 0:0 im Rückspiel aus, Andrich fiel Monate aus, verpasste die Vorbereitung und verlor seinen Stammplatz.
«Sie hat gesagt: Wenn du hier spielst, weiß ich gar nicht, ob ich das Spiel gucken kann», erzählte Andrich: «Aus Spaß hat sie sogar gesagt, sie will gar nicht, dass ich hier spiele.» Was Sportchef Simon Rolfes lachend mit den Worten kommentierte: «Zum Glück stellt sie nicht die Mannschaft auf.» Es sei natürlich verständlich, dass die Frau sowas sagt, meinte Andrich. «Da sind Situationen, wo sich die Frau natürlich Sorgen macht. Aber als Fußballer denkt man gar nicht so viel darüber nach.»
«Der sieht schon lecker aus»
Diesmal erlebte Andrich einen komplett anderen Abend: Bayer siegte, steht dicht vor dem Finale, darf aufs Triple hoffen – und Andrich schoss nach der Führung durch Florian Wirtz (28. Minute) mit einem schönen Schlenzer das 2:0 (73.). «Ich habe es jetzt zweimal mit der Kameraperspektive von hinten gesehen. Der sieht schon lecker aus», sagte der 29-Jährige und versicherte, den Ball genauso gewollt zu haben.
«Jetzt hat Rom nicht mehr diese scheiß Bedeutung für mich», sagte er erleichtert: «Jetzt habe ich ein Tor hier gemacht. Und die Verletzung kann man jetzt im Kopf ganz weit nach hinten schieben. Das Tor ist nun ganz weit vorn. Das ist ein sehr, sehr schönes Gefühl, definitiv.»
Überhaupt ist Andrich im Leverkusener Team, das mit großer Euphorie durch alle Wettbewerbe schwebt und nun in 47 Pflichtspielen ungeschlagen ist, wahrscheinlich der Glücklichste von allen. Zehn Tage nach dem vorzeitigen Gewinn des Meistertitels wurden Alicia und er zum zweiten Mal Eltern, in den letzten sechs Pflichtspielen hat der nicht als Knipser bekannte Mittelfeld-Kämpfer drei Tore erzielt, in der Nationalmannschaft hat er nach zwei starken Länderspielen im März beste Chancen auf einen Stammplatz an der Seite von Toni Kroos bei der Heim-EM. «Das ist auf jeden Fall der Wunsch», sagte Andrich: «Und ich glaube, wenn man die beiden Spiele sieht, habe ich es verdient, zumindest dabei zu sein.»
Alonso mahnt: «Noch ein Spiel»
Es ist gut möglich, dass Andrich als Triple-Sieger zur EM reist. Und im Eröffnungsspiel am 14. Juni gegen Schottland in einer Leverkusener Achse mit Innenverteidiger Jonathan Tah und Wirtz auf dem Platz steht. Für Wirtz war das Tor ebenfalls ein besonderes. Alonso hatte ihn in einer taktischen Ausrichtung ohne gelernten Stürmer als sogenannte falsche Neun aufgeboten. Und kurz nach dem Spiel in den Katakomben durfte er in seinen 21. Geburtstag reinfeiern. «Er hat einen kleinen Kuchen bekommen. Die Freude bei allen war groß», verriet der im nächsten Liga-Spiel am Sonntag in Frankfurt gelbgesperrte Trainer am Freitagmorgen: «Er ist immer noch erst 21. Aber er hat eine große Zukunft. Seine Entwicklung zu sehen, ist super.»
Im Gegenzug mahnte der frühere Welt- und Europameister als Spieler, den Einzug ins Europa-League-Finale am 22. Mai in Dublin gegen Atalanta Bergamo oder Olympique Marseille (Hinspiel: 1:1) schon als zu sicher anzusehen. «Es ist ein gutes Ergebnis, aber es ist noch nicht vorbei», sagte er: «Es gibt noch ein Spiel in Leverkusen. Sie haben nichts zu verlieren, wir haben alles zu verlieren. Manchmal ist das eine schwere Situation. Ich habe schon viele Comebacks gesehen. Aber wir sind bereit.»