Nach der denkwürdigen Klatsche von Frankfurt durften sich die Bayern-Stars bei der Frustbewältigung im Sonnenschein wenigstens über reichlich Fan-Zuspruch freuen.
Dick eingepackt schrieb Trainer Thomas Tuchel, der nach dem 1:5 bei der Eintracht die schlechtestmögliche Note an sich und seine Profis verteilt hatte, nach dem Training Autogramme und hielt für Selfies still. Von Kinderstimmen wurden am Vortag taumelnde Spieler lautstark als «Super Bayern» bejubelt – doch beim zweiten Debakel der Saison waren sie davon himmelweit entfernt.
«Die gesamte Mannschaftsleistung war ungenügend und da zähle ich mich mit dazu», sagte Tuchel nach dem von krassen Aussetzern geprägten Bundesliga-Nachmittag bei der Eintracht. Der Cheftrainer sprach nach der höchsten Niederlage in seiner Zeit in München zwar in ruhigem Ton und mit maximaler Sachlichkeit. Der gewaltige Frust über den unerwarteten Patzer mitten im Titelrennen war Tuchel aber klar anzumerken. Auf der Tribüne hatte Ehrenpräsident Uli Hoeneß als einer von 58.000 Zuschauern das einseitige Spektakel mit grimmiger Miene verfolgt.
Sportdirektor sieht ein «Einstellungsthema»
Lachende Gesichter waren bei der Einheit am Sonntagmittag und am Tag vor der Reise zum Champions-League-Spiel bei Manchester United an der Säbener Straße nicht auszumachen, als Harry Kane, Manuel Neuer & Co. von Maskottchen Berni abgeklatscht oder umarmt wurden. Bayern hatte zuvor erst dreimal in diesem Jahrtausend mit vier Toren Unterschied in der Bundesliga verloren.
Nach einer «kurzen Nacht» ärgerte sich Sportdirektor Christoph Freund noch immer über den krassen Leistungsabfall, der ihn und Tuchel kalt erwischt hatte. «Das war natürlich nichts und bitter», sagte Freund im Sport1-Doppelpass. Der 46-Jährige sieht «grundsätzlich schon ein Einstellungsthema, wenn wir es nicht auf den Platz bringen.» Ein Beleg: Die Bayern-Stars liefen zehn Kilometer weniger als die Eintracht-Kicker.
Erinnerungen an Pokalpleite
Freund bemängelte ein Muster im Münchner Malheur, das ihn an den peinlichen Pokal-K.o. beim 1. FC Saarbrücken erinnerte. «Es muss ja irgendeinen Grund geben und es muss auch einen Grund geben, warum die Bayern die letzten Jahre nicht in Berlin im Finale standen», sagte der Österreicher. «Wir haben auch gegen Saarbrücken verloren. Die haben das super gemacht, die waren richtig aggressiv, richtig willig und wir waren nicht so bereit.»
Es ist eine Schlappe, die Bayern im Fernduell mit Spitzenreiter Bayer Leverkusen vor der Weihnachtspause zusätzlich unter Druck setzt. «Der Spielplan dominiert sowieso unsere Reaktion. Wir können unter keinen Umständen auf diesem Niveau weiter spielen», warnte Tuchel, dessen Team sich bei der ersten Liga-Niederlage der Saison die mit Abstand schwächste und fehlerhafteste Leistung seit langer Zeit leistete.
«Normalerweise spielen wir alle drei Tage»
Die Suche nach Gründen gestaltete sich im Dauerregen von Frankfurt schwierig, denn die Bayern spielten bis dato einen in der Summe starken Herbst. Als eine Erklärung wurde die lange Pause angeführt, nachdem die Münchner in der Bundesliga (witterungsbedingter Ausfall) und im DFB-Pokal (in Runde zwei ausgeschieden) zuletzt nicht spielten.
«Das ist mit Sicherheit eine, auch wenn das als Entschuldigung nicht gelten darf. Aber es ist für uns sehr ungewohnt zehn Tage nicht zu spielen. Normalerweise spielen wir alle drei Tage», sagte Nationalspieler Leon Goretzka im ZDF. Der Rhythmus des Teams um den diesmal blassen Topstürmer Kane wirkte gebrochen. Dazu leisteten sich die Bayern um Torschütze Joshua Kimmich eine absurde Abfolge an individuellen Patzern. Die Folge des laschen Auftritts waren die Gegentore durch Omar Marmoush, Doppeltorschütze Eric Junior Dina Ebimbe, Hugo Larsson sowie Ansgar Knauff.
Das Champions-League-Spiel bei Manchester United am Dienstag (21.00 Uhr/Prime Video) ist für die Münchner Gruppensieger sportlich eigentlich bedeutungslos. Es bietet nun aber eine schnelle Chance für einen Stimmungsaufheller. «Wir wollen zeigen, dass das nur ein Ausrutscher war», sagte Goretzka. Serge Gnabry kann wegen einer Muskelsehnenverletzung im linken Adduktorenbereich da nicht mithelfen. Für ihn ist das Fußballjahr vorzeitig beendet.
Tuchel will nicht «draufhauen»
Nach vorangegangenen ähnlichen Klatschen gab es Konsequenzen. Zweimal – 2009 Jürgen Klinsmann und 2019 Niko Kovac – war der Trainer kurze Zeit später seinen Job an der Säbener Straße los. Das droht Tuchel diesmal nicht, doch mit dem Totalausfall von Frankfurt hat sich zumindest die Bedeutung des Jahresendspurts gegen den VfB Stuttgart und beim VfL Wolfsburg erhöht. Ein weiterer Patzer und die Bayern könnten im Duell mit Leverkusen bereits weit ins Hintertreffen geraten.
«Ich habe Vertrauen in meine Mannschaft, auch wenn das für uns ein herber Rückschlag ist. Es bringt jetzt nichts draufzuhauen und alles schlechtzureden. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Wir brauchen exakt die Tugenden, die wir nur mangelhaft auf den Platz gebracht haben», sagte der 50 Jahre alte Tuchel. Joker Thomas Müller, der sich in den Frankfurter Katakomben als einziger Münchner Spieler den Fragen stellte, sprach vom «Wutmotor», der nun angehen müsse.