Thomas Tuchel pustete erleichtert durch – und auch den Bayern-Bossen war die Riesenerleichterung über die mühevolle Rückkehr an die Tabellenspitze deutlich anzusehen.
«Der Titel ist keineswegs ein Trostpreis, er ist die deutsche Fußball-Meisterschaft», hob Vorstandschef Oliver Kahn nach dem 2:0 (0:0) der Münchner gegen Schlusslicht Hertha BSC hervor. «In so einer Phase geht es nicht darum, den Schönheitspreis zu gewinnen, sondern darum, zu gewinnen und die Tabellenführung zu übernehmen – und das haben wir geschafft.» Dagegen rauschen die Berliner trotz aller Verteidigungsarbeit mit Herz der 2. Liga entgegen.
Serge Gnabry (69. Minute) und Kingsley Coman (79.) sorgten dafür, dass der Serienchampion den Patzer von Borussia Dortmund nutzte und wieder Kurs auf die elfte Schale nacheinander genommen hat. «Deutscher Meister wird nur der FCB!», sangen Tausende Anhänger nach dem Schlusspfiff, als die Mannschaft sich befreit vor der Kurve präsentierte.
Ruhe in Debatte um die Zukunft der Bosse?
In wilden Bayern-Tagen half die Rückkehr an die Tabellenspitze auch, dass die Debatten um die Zukunft der Bosse nicht noch schärfer werden. «Mein Fokus gilt im Moment nicht irgendwelchen Diskussionen, sondern mein Fokus gilt nur der deutschen Meisterschaft – und darum geht’s», sagte Kahn. «Selbstverständlich» werde er in der nächsten Saison noch «hier» sein, sagte der frühere Weltklasse-Torhüter auf die Frage, ob er dann noch Sportvorstand beim FC Bayern sein werde. Nach den Berichten über eine angebliche Trennung von Kahn nach der Saison kann die nächste Meisterschaft für etwas Ruhe sorgen.
«Wir konzentrieren uns jetzt auf das Sportliche, weil das ist das Wichtigste, was unten auf dem Platz passiert», sagte Bayern-Präsident Herbert Hainer. Der 68-Jährige ging nicht konkret auf eine Nachfrage zu den Spekulationen über einen Abschied von Kahn ein, sondern sagte: «Wir konzentrieren uns jetzt auf das Sportliche, weil das ist das Wichtigste, was unten auf dem Platz passiert und dass wir die elfte deutsche Meisterschaft (in Serie) gewinnen.»
Hainer will «Gesamtlage analysieren»
Davon abgesehen «analysieren und debattieren wir natürlich über die Gesamtlage, besprechen das in aller Ruhe, intern und auch sehr umsichtig, wie man es vom FC Bayern auch gewohnt ist», sagte Hainer. Über das Dortmunder Frusterlebnis in Bochum mochte keiner ausgiebig sprechen. «Das ist nicht mein Bier, wir haben genug zu tun mit unserer Mannschaft», sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic.
Tuchel muss in diesem Spannungsfeld die Mannschaft auf Kurs bringen, die gegen allein auf die Defensive beschränkte Berliner nicht richtig bayern-like auftrat. «Wenn Du als neuer Trainer reinkommst im April, dann ist ja irgendwas sowieso, dann läuft es nicht rund, sonst gäbe es die Stelle gar nicht», sagte Tuchel bei DAZN. «Wir sind sehr offen und ehrlich miteinander und im Moment haben wir das Gefühl, dass jeder will, sich jeder dessen bewusst ist, in dieser Woche nochmal eine Schippe draufgelegt hat.» Er sprach von einer «Energie, die man als eine Fußballmannschaft ausstrahlen» müsse. Auch das sei jedem bewusst.
Bayern lassen Tempo und Finesse vermissen
«Es war ein absolutes Geduldsspiel», sagte Joshua Kimmich. «Das war kein Schützenfest, aber trotzdem, fand ich, eine reifere Leistung als in den letzten Wochen». Bei einem Punkt Vorsprung und noch vier Saisonspielen haben es die Bayern «in der eigenen Hand». «Es war für uns schonmal der Tag der Arbeit, einen Tag vorgezogen», sagte Hainer.
Den erneut ohne Kapitän Thomas Müller in der Startelf aufgelaufenen Münchnern fehlte es an Tempo und Finesse. Der Auftritt vor 75.000 Zuschauern war ein weiterer Beweis dafür, dass ein Vollstrecker im Angriffszentrum fehlt. Sadio Mané, der erneut anstelle des weiter verletzten Eric Maxim Choupo-Moting ganz vorn aufgebotenen wurde, ließ Präzision und Timing vermissen. Richtig torgefährlich wurde er nicht.
Zufrieden sah Tuchel der Seitenlinie lange auch nicht aus. Befreit nahm er nach der Führung durch Gnabry auf der Bank Platz – nach vier Pflichtspielen ohne Sieg durfte er endlich wieder einen Erfolg bejubeln. Nach Comans Treffer huschte ihm auch ein Lächeln über das Gesicht. «Unser Selbstvertrauen und so weiter ist ja jetzt nicht gerade das Allergrößte», sagte Tuchel. Es gehe momentan um Dinge «weit über Taktik, Technik und Spielaufbau hinaus».