Steffen Baumgart hat den 1. FC Köln im Sommer 2021 übernommen und direkt in die Conference League geführt. Sein Profil hat er als authentischer, streitbarer und lautstarker Typ geschärft.
Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht er über seine Außenwirkung und Ausdrucksweise, wofür er schon in die Mannschaftskasse bezahlt hat und dass er durchaus heute auch Busfahrer oder KFZ-Mechaniker sein könnte.
Frage: Herr Baumgart, die Situation in der Winterpause schien schwierig für den FC. Doch wenn man Ihnen zuhört, klingt immer Optimismus durch. Ist für negative Gedanken und Szenarien in Ihrem Kopf kein Platz?
Steffen Baumgart: Bei mir ist das Glas halbvoll. Ich sehe immer die Chance. Natürlich sind mir auch die anderen Szenarien bewusst, ich bin ja nicht doof. Aber so gehe ich nicht an die Arbeit ran.
Jürgen Klopp hat mal gesagt: „Die Lust aufs Gewinnen muss größer sein als die Angst vorm Verlieren.“ Trifft es das?
Baumgart: Das würde ich komplett unterschreiben. Es geht darum, ein Spiel gewinnen zu wollen – egal gegen wen. Und nie den Gedankengang zu haben „Hoffentlich verliere ich nicht.“ Das würde automatisch die Spielweise ändern.
Diese mutige, aktive Spiel- und Denkweise, die sie einfordern, ist die in jeden Kader zu implantieren? Oder ist Baumgart-Fußball nur mit bestimmten Spielern möglich?
Baumgart: Man kann seine Idee in jeden Kader bringen. Ich habe meine nie verändert, nur weil der Kader das angeblich nicht hergibt. Das wurde mir ja auch hier zu verstehen gegeben, als ich kam. Ich habe von Anfang an geglaubt, dass dieser Kader bundesligatauglich ist. Es ist befremdlich für mich, wenn Trainer erklären, sie können nur mit einem bestimmten Spieler-Material erfolgreich sein. Da frage ich mich: Wieso bist du dann Trainer, wenn du nur so gut bist wie dein Spielermaterial? Ein Trainer soll Spielern etwas beibringen und nicht sagen: Ich bin nur gut, wenn die Spieler gut sind. Wenn die Spieler gut sind, ist jeder gut. Man kann sich personell immer verbessern, aber meine Aufgabe ist es, mit Spielern zu arbeiten und zu versuchen, alle besser zu machen. Und nicht ständig zu lamentieren, dass ich neue brauche.
Es gibt Trainer, bei denen hat man das Gefühl, dass sie ihren Spielern so lange erzählen, welche Defizite sie haben, bis diese es irgendwann glauben.
Baumgart: Und davon gibt es mehr als man denkt. Zumindest hatte ich mehr Trainer, die gesagt haben, dass sie gut sind, aber die Spieler nicht. Und ganz wenige, die gesagt haben, ich arbeite mit den Jungs, die hier sind.
Viele interne wie externe Beobachter sagen: Steffen Baumgart passt nach Köln wie die Faust aufs Auge. Sie hatten 2021 einige Angebote. Würden die Leute heute ebenso reden, wenn Sie nach Schalke, Hamburg oder Hannover gegangen wären?
Baumgart: Zum einen passt die Kombination in Köln sehr gut. Sie hätte woanders aber auch gepasst. Paderborn ist vom Charakter her ganz anders, und da habe ich auch hundertprozentig hingepasst.
«Ich weiß, wie der Fußball läuft»
Sie hatten auch schwierige Zeiten, plötzlich loben Sie alle. Wie gehen Sie damit um?
Baumgart: In Paderborn war auch schon sehr viel positiv, auch da hatte ich schon Medienpräsenz. In Köln hat sich das vervielfältigt. Aber ich weiß, wie der Fußball läuft. Die, die dich heute loben, finden morgen auch einen Grund, dir zu erklären, was du anders machen musst. Es ist natürlich schöner, gelobt zu werden. Aber wenn es irgendwann nicht mehr so ist, werde ich meinen Weg trotzdem weitergehen. Das mache ich nicht davon abhängig, ob Leute mich gut finden oder nicht. Oder zu laut oder zu leise. Die Leute, die mit mir arbeiten, müssen ein gutes Gefühl haben. Und ich hatte das Gefühl, dass die meisten bisher gerne mit mir gearbeitet haben.
Frage: Wie gehen Sie mit den Menschen um, die in schlechten Zeiten nicht da waren und plötzlich um einen herumschwänzeln?
Baumgart: Die schlechte Zeit, die ich hatte, war finanziell eine schlechte. Aber das war ja keine wirklich schlechte Zeit. Es war eine schwierige Zeit, das kann sich jeder vorstellen, wenn es beruflich nicht vorwärtsgeht. Aber meine Frau und meine Familie waren immer an meiner Seite. Wer das von sich behaupten kann, kann nicht von schlechten Zeiten sprechen. Zu diesem Zeitpunkt musste meine Frau eben das Geld verdienen, weil ich nicht in der Lage dazu war. Aber wir waren immer glücklich. Und wenn es im Fußball nicht geklappt hätte, Geld zu verdienen, wäre ich eben Busfahrer geworden.
Sie sind aber schon froh, dass Sie kein Busfahrer geworden sind?
Baumgart: Ich bin sehr froh, dass ich Trainer geworden bin (lacht).
Sie scheinen auch sehr wertzuschätzen, was Sie in Köln haben. Sie haben schon angedeutet, dass der FC nur auf Sie zukommen müsse, wenn er verlängern wolle.
Baumgart: Ich stelle mich nicht hierhin und sage, dass ich ewig hierbleibe. Wenn ich nochmal verlängern sollte, dann wäre ich vier Jahre hier. Irgendwann könnte es eine Überlegung sein, noch mal einen neuen Weg zu gehen. Im Moment fühle ich mich aber sehr wohl. Deshalb werden wir – wenn der Verein will – noch einmal verlängern – ohne zu verhandeln. Dabei geht es nicht darum, mehr zu wollen. Ich bin mit dem, was ich hier habe, zufrieden.
Und wenn vorher jemand kommen sollte?
Baumgart: Dann sollte er zuerst mit dem Verein reden. Ich bin niemand, der einen Vertrag hat und sich woanders umschaut.
Bei den meisten Fans sind Sie vor allem wegen Ihrer Authentizität beliebt. Es gibt aber auch diejenigen, die behaupten: Von der Schiebermütze bis zur Nummer 72 über Gesten und Sprüchen ist auch vieles inszeniert. Achten Sie wirklich so auf Ihre Außenwirkung oder kommt alles aus dem Bauch heraus?
Baumgart: Da muss man unterscheiden. Natürlich bin ich auch Teil eines Geschäfts. Die Mütze ist mittlerweile mein Markenzeichen, deshalb setze ich sie auf. Und sie wird gut verkauft. Und wenn ich einen Hoodie zu einer Pressekonferenz anziehe, dann geht es auch darum, ihn ins Schaufenster zu stellen. Das ist auch meine Aufgabe. Aber wenn ich spreche, tue ich das so, wie ich bin. Die Sprüche waren in Paderborn nicht anders, aber hier werden sie deutlich häufiger zu Schlagzeilen.
«Fußball sollte im Mittelpunkt stehen»
Aber wenn Sie bei Minusgraden den Hoodie ausziehen und im T-Shirt rumlaufen, wird einem schon vom Zusehen kalt.
Baumgart: Aber das tue ich ja nicht aus Prinzip. Auf Schalke habe ich einen Hoodie getragen, weil mir kalt war. In München hatte ich einen anderen Bewegungsradius, da habe ich ihn irgendwann nicht mehr gebraucht und ausgezogen. Auf dem Trainingsplatz stehe ich bei diesen Temperaturen auch mit dicker Jacke und Handschuhen, denn da bewege ich mich nicht so viel wie während eines Spiels. Aber wenn das ein großes Thema ist… Der Fußball sollte im Mittelpunkt stehen und nicht, ob der Trainer draußen rumhampelt.
Was denken Sie, was Ihre Popularität vereinsübergreifend ausmacht?
Baumgart: Vielleicht, dass es die breite Masse versteht, wenn ich über Fußball rede. Wenn ich über Fußball rede, versteht das sogar ein kleines Kind. Fußball ist keine Wissenschaft.
Die kleinen Kinder müssen aber auch manchmal weghören, wenn Ihnen etwas «auf die Eier» oder «auf den Sack» geht oder Sie «auf den Arsch bekommen».
Baumgart: Das sind Emotionen. Aber ich habe nie jemanden persönlich angegriffen oder beleidigt. Dass ich auf Fragen, die ich dumm finde, lauter reagiere und nicht wie ein Diplomat, heißt nicht, dass ich unhöflich bin. Ich habe eine klare Meinung, die gebe ich klar zum Ausdruck. Und ich bin einsichtig, wenn ich mich geirrt habe.
Wie kam es dazu, dass Sie vor dem Spiel gegen Bremen vorab die gesamte Startelf verraten haben?
Baumgart: Das war aus dem Bauch heraus. Wir wären auf der Pressekonferenz jede Position durchgegangen, deswegen habe ich gesagt: Okay, dann verrate ich die Aufstellung gleich ganz. Aber es gibt doch sowieso wenig Geheimnisse. Wenn ich mich vor den Spielen mit meinem Analyse-Team zusammensetze, liegen wir bei 95 Prozent Trefferquote bei den Gegnern. In dem Fall Bremen waren es 100 Prozent. Es wird aber nicht zum Dauerzustand, dass ich die Aufstellung verrate.
Aber kann es wieder passieren?
Baumgart: Es kann passieren, wenn die Umstände wieder passen. Aber sie werden seltener nicht passen als dass sie passen.
Waren Sie erleichtert, dass ausgerechnet dieses Spiel 7:1 gewonnen wurde?
Baumgart: Nein. Weil es nichts damit zu tun hatte.
Ebenfalls ungewöhnlich war Ihre Reaktion im Herbst, als Sie nach einem frühen Platzverweis taktisch falsch reagiert haben und das öffentlich auf sich genommen haben. Da würde in manchem Trainer-Handbuch stehen: Mach das bloß nicht, das kratzt deine Autorität an.
Baumgart: Wenn ich darüber nachdenke, meine Autorität zu verlieren, dann habe ich sie schon verloren. Und ich habe bisher noch nie meine Autorität verloren. Weil ich sie nicht über meine Entscheidungen gewinne. Sondern über die tagtägliche Arbeit mit den Jungs. Sie lachen auch oft über mich, weil ich mich verspreche, weil ich Namen nicht richtig ausspreche oder weil ich stolpere bei einer Sitzung. Aber das ist okay, weil sie nicht über mich lachen, sondern wir zusammen lachen. Genauso gelten unsere gemeinsamen Regeln, was zum Beispiel Pünktlichkeit angeht, für mich genauso wie für die Jungs. Da zahle ich auch mal was in die Spielerkasse.
Wofür haben Sie schon mal zahlen müssen?
Baumgart: Für alles Mögliche. Ich bin schon mal zu spät zu einer Sitzung gekommen, weil ich mir die falsche Trainingszeit notiert habe. Ich bin nicht fehlerlos. Und jeder kann mal im Stau stehen. Wenn jemand jeden Tag fünf Minuten zu spät kommt, ist das respektlos. Wenn das einmal im halben Jahr passiert, ist das menschlich.
Sie hatten in Ihrer Profizeit viele verschiedene Trainer. Behandeln Sie Spieler heute so, wie Sie damals gerne behandelt worden wären?
Baumgart: Ich bin auf jeden Fall mit den Trainern am besten zurechtgekommen, die klar und deutlich, aber ehrlich waren. Mit denen man auch streiten konnte. Ich habe mich oft mit Trainern gestritten. Da hast du dann gemerkt, wer unterscheiden kann zwischen dem Spieler und dem Menschen. Wer dir wirklich helfen will und wer dir nur irgendwas erzählt. Und an der Mannschaft oder an dem Verein eigentlich gar nicht interessiert ist…
Wenn die Spieler heute mit Ihnen streiten, können Sie das besser akzeptieren, weil Sie an sich selbst vom damals denken?
Baumgart: Ich erwarte von den Spielern, dass sie mit mir in die Diskussion gehen. Das fordere ich auch ein. Wenn ich sie auf etwas hinweise, will ich, dass sie eine Antwort haben. Und wenn nicht, sollen sie einmal drüber schlafen und am nächsten Tag wiederkommen.
Wären Sie lieber heute Profi als damals? Oder wären Sie gerne nochmal mit dem Wissen von heute Profi?
Baumgart: Nein. Ich war genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Heute würde ich kein Profi mehr werden, weil ich diesen Weg nicht mehr gehen könnte. Mit der Wende war bei mir eigentlich alles vorbei. Ich bin nach Aurich gegangen, wurde KFZ-Mechaniker und habe drei Jahre in der Oberliga gespielt. Da hat niemand mehr an Profi-Fußball gedacht. Außer mir selbst. Und wenn Frank Pagelsdorf mich damals nicht nach Rostock geholt hätte, wäre ich heute wahrscheinlich Autoverkäufer in Ostfriesland und niemand würde mich kennen.
ZUR PERSON: Steffen Baumgart (51) wurde in Rostock in der ehemaligen DDR geboren. Als Profi stürmte er unter anderem für Hansa Rostock, den VfL Wolfsburg oder Energie Cottbus. Die Karriere als Trainer startete verhalten. Obwohl sie 2008 begann, nahm sie erst 2017 in Paderborn richtig Fahrt auf. Die Ostwestfalen führte Baumgart in zwei Jahren aus dem Drittliga-Keller in die Bundesliga. 2021 wechselte er zum 1. FC Köln, der – im Jahr vorher noch Relegations-Teilnehmer – sich im ersten Jahr direkt für die Conference League qualifizierte.