Am Käsestand spielen bunte Kapitänsbinden, saudische Millionen oder korrupte Funktionäre eine Nebenrolle. Samstags, in seiner zweiten Heimat auf dem Markt, gehe es nur um den «Effzeh», erzählt Gunter Gebauer, um den 1. FC Köln.
Die bedenklichen Auswüchse des Profifußballs, die auch die Bundesliga in ihrem Jubiläumsjahr belasten – für den Moment verdrängt. «Da sind alle begeistert vom FC», sagt Gebauer der Deutschen Presse-Agentur. «Und das war immer schon so.»
Den Stammtisch am Käsestand in Köln gibt es auch in Hamburg, in München, Berlin, Dortmund, Duisburg, Fürth. Überall, wo seit Jahrzehnten am Wochenende mehr oder weniger erfolgreich Fußball gespielt und gelebt wird. Die Bundesliga sei «vielleicht nicht mehr das große Lagerfeuer», sagt Gebauer, aber weiterhin ein «starkes Identifikationsangebot».
Eigentlich ein Phänomen. In den sechs Jahrzehnten seit dem Gründungsbeschluss im Juli 1962 im Dortmunder Goldsaal leistete sich der deutsche Fußball etliche Skandale und Skandälchen. Finanzbetrug, Doping, Korruption, Bestechung, von außen herangetragen auch Rassismus und Gewalt – dennoch blieben nur zeitweise ein paar Dellen. Derzeit hängen insbesondere der kriselnde DFB mit der seit Jahren schwachen Nationalmannschaft und absurde Entwicklungen auf dem Transfermarkt nach.
Lebenswelten der Spieler und der Fans «Lichtjahre» auseinander
«Das Finanzielle ist etwas, das in Deutschland immer mit Misstrauen beobachtet worden ist, viel stärker als in anderen Ländern», sagt Gebauer. «Der Fußball wird zur Handelsbörse, das verstört.» Die Lebenswelt der Spieler sei inzwischen «Lichtjahre» von jener der Fans entfernt. Im Hype um Bayern Münchens über 100 Millionen Euro teuren Starstürmer Harry Kane hatten sich zuletzt viele bedenkliche Entwicklungen verdichtet. Beim Personenkult steht der Fußball der Glitzerwelt der Film- und Musikindustrie in der Spitze in nichts nach. Die Begeisterung aber bleibt.
«Sonst hätten wir in acht oder zehn Stunden beim Vorverkauf das Stadion gegen Darmstadt und Heidenheim nicht voll bekommen», sagt Eintracht Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann, der zuletzt auch die Deutsche Fußball Liga angeführt hatte. «Es gibt die Clubs, die eine hohe Authentizität haben und den Fans emotional etwas bedeuten. Die Verbindung ist stark und trägt.»
Die Bundesliga sei «mit dem Tatort zu vergleichen», sagt Gebauer. «Jede Region hat ihren Kommissar und ihr Team, dabei bleibt man. Am Sonntagabend sitzt Deutschland vor dem Tatort im ersten Programm. Das sind Ruheräume, die wir brauchen. Wir werden bombardiert mit schrecklichen Nachrichten, zum Wirtschaftsgeschehen, zum Krieg, zum Streit der Parteien, zum Aufstieg der AfD.»
Den Besonderheiten, Höhepunkten, Wirrungen und Skandalen sind schier unzählige Bücher und Filme gewidmet. Die Weiterentwicklung in sechs Jahrzehnten ist enorm: Vom ersten Tor des Dortmunders Timo Konietzka im ersten Bundesliga-Spiel am 24. August 1963 bei Werder Bremen gibt es keine Videoaufzeichnungen, weil keine TV-Kameras im Stadion waren – in diesem Sommer wechselte Nationalspieler Jonas Hofmann auch deshalb nach Leverkusen, weil ihn Bayer-Trainer Xabi Alonso per Videoanruf überzeugte.
Allofs: «Fußball ist ein Thema, das alle beschäftigt»
«Wir leben in einer Welt, die sich sprunghaft verändert», sagt der heute 66 Jahre alte Klaus Allofs, der seine Karriere gut zehn Jahre nach der Bundesliga-Gründung begonnen hatte, der dpa. Ohne die Liga «zu hoch hängen» zu wollen, der Fußball sei «ein Thema, das alle beschäftigt – das ist vielleicht auch das Erfolgsrezept».
Die Gründung – von den 129 Delegierten des damaligen DFB-Bundestags waren 103 dafür – sei «eine geniale Idee» gewesen, sagt der heutige Sportvorstand von Fortuna Düsseldorf. Es habe immer Phasen gegeben, in der die Popularität gelitten habe. Aber der Fußball sei «nie abgelöst worden als Nummer eins» – trotz aller Nebengeräusche. «Das, was die Bundesliga liefern kann an Spannung und Begeisterung, hat sie gerade in der vergangenen Saison gezeigt.»
Die Liga sei ein «Erfolgsmodell», sagt Allofs. «Trotzdem müssen wir immer wieder schauen, welche Entwicklungen vor sich gehen, immer wieder dazulernen, gerade im Verhältnis zu den Fans, dass wir sie verstehen.»
Letzteres mahnt auch Gebauer an. «Die Stars haben immer deutlich mehr verdient und haben ihre eigenen Sphären gehabt, in denen sie gelebt haben», sagte der Sportphilosoph. «Wenn man heute liest, was damals verdient wurde, ist das lächerlich, aber das war der Beginn einer Entwicklung, die für die Fans verstörend wurde. Es steht in überhaupt keinem Verhältnis mehr – wenn die, die absteigen, Luxusautos fahren, wie vor zwei Jahren bei Schalke, und die, die sie anfeuern, gerade ihren Job verloren haben.»